„Tschechische Neonazis wollen von den Deutschen anerkannt werden“
Die Kollaboration im Protektorat bietet Neonazis Stoff für eine gemeinsame Heldengeschichte, sagt Miroslav Mare
9. 5. 2013 - Interview: Nancy Waldmann
Die rechtsextremen Parteien DSSS in Tschechien und NPD in Deutschland pflegen enge Kontakte, obwohl sie beim Thema Beneš-Dekrete gespalten sind. Kameradschaften in der Neonazi-Szene beider Länder sind eng vernetzt und stricken sogar an einer verbindenden nationalsozialistischen Geschichte. Wie legen sich tschechische Rechtsextremisten die Geschichte des Zweiten Weltkriegs zurecht und was motiviert sie zur Zusammenarbeit? Darüber sprach PZ-Redakteurin Nancy Waldmann mit dem Extremismusforscher Miroslav Mareš. Er ist Professor am Internationalen Institut für Politische Wissenschaft der Masaryk-Universität Brünn.
Die rechtsextreme Arbeiterpartei der Sozialen Gerechtigkeit (DSSS) bekennt sich zu einem „nationalen Sozialismus“. Inwiefern knüpft dieser an den Nationalsozialismus im Dritten Reich an?
Mareš: Das ist kompliziert. Der tschechische Nationalsozialismus hat teilweise andere Inhalte als der deutsche. Er entstand schon im 19. Jahrhundert als Reaktion auf austromarxistische Tendenzen in der Arbeiterbewegung. Innerhalb der DSSS und der Dělnická mládež („Arbeiterjugend“, kurz: DM, Anm. d. Red.) ist das nicht so klar definiert. Sie sind nationalistisch und stark antikapitalistisch. Das ist der Boden für verschiedene Strömungen. Die einen sind eher für einen pan-arischen, die anderen für einen isolationistischen Nationalsozialismus.
Wie schätzen Sie die Lage der DSSS aktuell ein?
Mareš: Die wirklichen Nazis, die 2006 und 2007 vom „Nationalen Widerstand“ in die Partei „Dělnická strana“ kamen, haben die Nachfolgerpartei DSSS beziehungsweise die DM größtenteils verlassen. Sie sind in Kameradschaften und die unorganisierte Szene abgewandert. Aber auf Internetseiten verweist man aufeinander.
Die Jugendorganisation „Dělnická mládež“ und DSSS arbeiten mit der rechtsextremen NPD in Deutschland zusammen, indem sie gegenseitig auf Veranstaltungen auftreten. Wie kommt es dazu?
Mareš: Ich denke, für den Parteiführer Vandas gab es eher Druck aus der kameradschaftlichen Szene für die Zusammenarbeit mit der NPD. Für ihn selbst war das kein Ziel. Viele Mitglieder der DSSS sind enttäuscht von den Misserfolgen im eigenen Land (die Partei erreichte 1,14 Prozent bei den Parlamentswahlen 2010, Anm. d. Red), deswegen suchen sie Anerkennung auf internationaler Ebene. Sie beobachten die Erfolge anderer rechtsextremer Parteien in Europa, zum Beispiel der NPD oder Jobbik in Ungarn, und nutzt dies propagandistisch für sich.
Was hat die NPD von der Zusammenarbeit mit der DSSS?
Mareš: Das ist paradox. Gerade im sächsischen Grenzgebiet haben viele die NPD gewählt wegen der Angst vor den Tschechen. So etwas wie die „Erklärung von Riesa“ 2011 über die Zusammenarbeit zwischen NPD und DSSS konnte wohl nur zustande kommen, weil sich die deutsch-tschechischen Beziehungen nach der Öffnung der Grenzen ein wenig beruhigt hatten. Ich denke, damit war auch der Zenit der Zusammenarbeit erreicht.
Die NPD fordert offen die Aufhebung der Beneš-Dekrete, die DSSS hält daran fest. Warum scheint das die Beziehungen so wenig zu stören?
Mareš: Auf offizieller parteilicher Ebene werden diese Themen vermieden. Es gibt auch große Unterschiede bei der Interpretation der Geschichte in der militanten Szene. 2004 waren tschechische Neonazis beim Rudolf-Hess-Gedenkmarsch in Wunsiedel. Sie wollten eine Rede halten, aber die Deutschen forderten, sie müssten sich dann für die Beneš-Dekrete entschuldigen. Damals haben das die Tschechen abgelehnt. Fünf Jahre später gab es eine gemeinsame Erklärung von Kameradschaften aus Deutschland, Tschechien und Österreich. Darin fordern sie die Aufhebung der Dekrete und die Rückerstattung des Eigentums an die Sudetendeutschen.
Welche Geschichtsbilder pflegen tschechische Rechtsextremisten?
Mareš: Die DM begeht durchaus Gedenktage für tschechische Aktivisten, die gegen die deutschen Okkupanten gekämpft haben. Andererseits organisierte die DS vor vier Jahren eine Demonstration in Iglau und lud dazu auch ehemalige SS-Mitglieder aus Österreich ein. In der harten Nazi-Szene knüpft man direkt an die tschechische Kollaboration mit den Nazis während des Zweiten Weltkriegs an. Dass Tschechen in SS-Einheiten, Wehrmacht oder paramilitärischen Gruppen mitgekämpft haben, spielt für diese Leute eine wichtige Rolle.
Aus der Kollaboration im Protektorat eine gemeinsame Heldengeschichte zu konstruieren, muss eine ziemliche Gedankenakrobatik sein. Wie gehen tschechische Neonazis damit um, dass die Nazis im Dritten Reich die Tschechen als „minderwertiges Volk“ ansahen?
Mareš: Sie sehen die Deutschen nicht mehr als „Herrenrasse“, sondern wollen sich in einem gleichberechtigten europäischen Kampf gegen den Kapitalismus stellen. Auf Seiten wie nassmer.cz, auf die sich auch tschechische Neonazis beziehen, schreibt man, dass Hitler ein Freund der Tschechen war. Man versucht, eine revisionistische Sicht der Geschichte zu verbreiten, in der die Tschechen gute und gleichberechtigte Verbündete Hitlerdeutschlands waren. Sie schreiben auch, dass die Beneš-Dekrete falsch waren und dass man den Deutschen dafür Entschädigung zahlen sollte.
Glauben Sie, dass zwischen deutschen und tschechischen Rechtsextremisten eine Beziehung auf Augenhöhe besteht?
Mareš: Ich denke, die Tschechen streben nach Anerkennung von den Deutschen. Sie wollen zeigen, dass sie auch gute Kämpfer sind. Und da die Deutschen eben ein Vorbild sind, ist gerade deren Lob sehr wichtig.
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