Über den Tod hinaus
Das Nationalmuseum erzählt die Geschichte bedeutender tschechischer Begräbnisse
17. 6. 2015 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: Národní muzeum
„In dem Moment, in dem unser Land nahe der Hoffnungslosigkeit und Resignation steht, haben wir uns entschieden, unseren Protest kundzutun und das Bewusstsein der Nation zu wecken.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der Student Jan Palach aus seinem noch jungen Leben. Als Reaktion auf die Besetzung der Tschechoslowakei durch Truppen des Warschauer Paktes verbrannte er sich im Januar 1969 auf dem Prager Wenzelsplatz. Seine Beerdigung am 24. Januar wurde zu einem Manifest des stillen Widerstandes eines ganzen Volkes. Über 10.000 Menschen sollen sich damals in der Hauptstadt versammelt haben. Die Geschichte der Beisetzung Palachs ist Teil der Ausstellung „Berühmte Begräbnisse“ („Slavné pohřby“) in der Gedenkstätte auf dem Vítkov-Hügel. Sie beschäftigt sich mit der historischen Bedeutung von Bestattungszeremonien und -prozessionen seit der Zeit der Nationalen Wiedergeburt.
Beerdigungen prägender Figuren einer Gesellschaft sagen viel über deren Selbstverständnis aus. Eine Begräbnisfeier ist nicht nur Ehrerbietung an den Verstorbenen, sondern immer auch sozialer Anlass mit symbolischer Strahlkraft. Besondere Bedeutung kam solchen Beisetzungen im nationalistisch aufgeladenen 19. Jahrhundert zu. Die seit dem Dreißigjährigen Krieg unterdrückte slawische Mehrheitsgesellschaft in Böhmen und Mähren begann sich auf eine eigene Kultur, Wissenschaft und vor allem Sprache als Mittel der Identitätsstiftung zu besinnen.
Ein Vordenker dieser Entwicklung war unter anderen Josef Jungmann. Der böhmische Sprachwissenschaftler war ab 1840 Rektor der Karls-Universität und erneuerte die tschechische Schriftsprache. Seinem Tod 1847 folgte eine Begräbniszeremonie in einer Dimension, wie sie bis zu diesem Zeitpunkt neu war. Die Tschechen stilisierten das Ableben führender Persönlichkeiten zu wahren Kultakten nationaler Selbstvergewisserung.
In dem kleinen Ausstellungsraum, der von einer rund vier Meter hohen, in schwarz gehaltenen Konstruktion in Kreuzform unterteilt wird, sind zahlreiche Objekte aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu sehen. Aufwendig verzierte Urnen, Trauerkleider und vor allem die Totenmasken von Künstlern wie Vojtěch Hynais oder der Opernsängerin Ema Destinnová oder dem Politiker František Ladislav Rieger faszinieren und lassen den Betrachter zuweilen erschauern. Im Hintergrund hört man Auszüge aus Mozarts Requiem, Chopins Trauersonate oder Dvořáks „Dies irae“.
Erste bewegte Bilder vom Trauerzug für den Weltkriegshelden Václav Otta markieren den Aufbruch ins 20. Jahrhundert. Es folgen Fotografien und Exponate zu den Begräbnissen von Tomáš Garrigue und Jan Masaryk, Edvard Beneš, KP-Führer Klement Gottwald und Jan Palach. Spannend: Die Nachrufe von linken Zeitungen wie der „Rudé právo“ nach dem Tod von Beneš als Instrument kommunistischer Propaganda.
Zum Schluss setzen Zeugnisse der Trauerbekundung nach Václav Havels Tod die Klammer hinter die lange Ahnenreihe bedeutender Tschechen, die ihren Teil zum nationalen Einheitsgefühl auch über ihren Tod hinaus beitragen – ob sie das zu Lebzeiten nun so wollten oder nicht.
Berühmte Begräbnisse. Nationale Gedenkstätte Vítkov (U Památníku 1900, Prag 3), geöffnet: Mi.–So. 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 80 CZK (ermäßigt 60 CZK), bis 31. März 2016, www.nm.cz
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