Über Grenzen hinweg
Unvergessen

Über Grenzen hinweg

Im November gedenkt man traditionell der Verstorbenen. Josef Holub beschrieb in seinen Kinderbüchern Freundschaften zwischen Deutschen und Tschechen

30. 10. 2020 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Jordan Whitt

Vor genau zehn Jahren starb Josef Holub in Grab, einem kleinen Ort bei Schwäbisch Hall, wo er seit 1974 lebte. Warum sollte man ihn weiterhin in Erinnerung behalten?
Guido Fuchs: Josef Holub war ein „ausgezeichneter“ Schriftsteller im wahrsten Sinn des Wortes, auch wenn er erst spät zur Schriftstellerei fand. Er schlug mit seinen Büchern Brücken in die Vergangenheit und auch zwischen Deutschen und Tschechen. Und er schreibt so schön.

Aufgewachsen ist Holub in Neuern im Böhmerwald, heute Nýrsko. Sie waren dort. Findet man Hinweise auf ihn?
Im Museum in Nýrsko wird das schriftstellerische Werk Holubs bewahrt, im Ort findet sich noch sein Geburtshaus. Außerdem auch ein Gedenkstein, in dem auch auf sein Buch „Der rote Nepomuk“ hingewiesen wird. Dessen Geschichte spielt in Neuern/Nýrsko.

Holubs Wohnhaus in Neuern (1927-46) | © Privatarchiv Pavel Mráz, CC BY-SA 4.0

„Der rote Nepomuk“ war sein erstes Buch aus den 1950er Jahren, es durfte jedoch erst Anfang der Neunziger veröffentlicht werden. Warum so spät?
Holub hatte die Geschichte nach eigenen Worten schon in den 1950er Jahren in der Schublade, aber die Zeit des Kalten Krieges zwischen Ost und West war politisch nicht offen für eine Freundschaftsgeschichte zwischen einem tschechischen und einem deutschen Jungen. Es gab zu viele gegenseitige Vorurteile.

Spiegelt der Inhalt auch seine eigene Kindheit wider?
Ja. Er sprach einmal davon, dass das Buch zu 90 Prozent autobiographisch sei. Das drückt sich auch darin aus, dass es aus der Sicht des Ich-Erzählers und wie ein innerer Monolog geschrieben ist. Er hat es auch als „Beichte“ bezeichnet, weil er in dem Buch nicht damit zurückhält, dass er sich, wie andere, über tschechische Kinder abschätzig geäußert hat. Bis er Jirschi kennenlernt, den Sohn eines Arztes aus Putzeried (Pocinovice) bei Neuern.

Pepitschek und Jirschi | © privat

Bei Holub spielt die Freundschaft zwischen Jungs – wie sehr oft in Jugendbüchern – eine wesentliche Rolle. Aber bei ihm sind diese Freundschaften anders, auch in erotischer Hinsicht. Warum?
Vielleicht kann man besser sagen: unverkrampfter. Der junge Josef, der Pepitschek, wie er von Jirschi im „roten Nepomuk“ genannt wird, ist einfach glücklich, wenn er mit diesem zusammen sein kann, auch weil er den Jirschi so schön findet. Allein das ist ungewöhnlich. Holub schreibt, dass ihn immer „eine Freude streichelt, wenn der Tschechenbub da ist.“ Die zwei haben sich zuerst geschlagen, dann vertragen und schließlich wurden sie unzertrennlich – für die Zeit eines Sommers, die ihnen die Weltpolitik mit ihren Veränderungen ließ. Die Grenze zwischen Großdeutschem Reich und Tschechoslowakei trennte dann auch die zwei Freunde: „Wir wissen es beide, ohne es zu wissen. Der Jirschi dreht sich plötzlich um, schaut mich eine Sekunde und eine Ewigkeit lang an, gibt mir einen Kuss und läuft davon.“ Und auch in „Lausige Zeiten“ ist der andere Junge eher ungewöhnlich, kein Haudrauf, sondern einfühlsam-verletzlich, mit dem er sogar manchmal die Hand hält. Das Wort „schwul“, womit man das heute gleich attackieren würde („Ey, bist du schwul, Alter?“) kannte man zum Glück damals nicht, sagte Holub einmal.

Dieser Roman „Lausige Zeiten“ trägt ebenfalls autobiographische Züge. Sie schrieben, dass Josef Holub in seinen Kinderbüchern auch seine eigene deutsch-tschechische Vergangenheit verarbeitet hat. Welche Vergangenheit war das?
Er war zuerst tschechoslowakischer, dann deutscher Staatsbürger, erlebte die Nazi-Zeit, den Krieg, die Gefangenschaft, Aussiedlung. All das spiegelt sich in den Büchern wider. „Lausige Zeiten“ behandelt seine Zeit nach dem wunderbaren Jahr mit Jirschi, als er in eine sogenannte Lehrerbildungsanstalt kam, in der die „Jungmannen“ und „Maiden“ zu späteren Lehrern und Lehrerinnen – besser: Führer und Führerinnen – erzogen werden sollten. Den Nazi-Ungeist, der auch durch diese Schule waberte, konnte er nur durch die Freundschaft zu einem anderen Jungen ertragen und überstehen.

Josef Holub arbeitete zunächst als Ziegeleiarbeiter, Briefträger und Oberamtsrat. Wie wurde er ausgerechnet Schriftsteller?
Er wollte eigentlich Lehrer werden, was aber nach der Vertreibung und in Baden-Württemberg, wo sich seine Familie niedergelassen hatte, nicht leicht möglich war. So hatte er verschiedene andere Berufe. Erst als der Eiserne Vorhang fiel, reichte er sein altes Manuskript „Der rote Nepomuk“ bei einem Verlag ein. Durch seine Tätigkeit als Gemeindearchivar in Grab im Schwäbischen Wald fand er auch zu historischen Themen, die er im Buch „Bonifaz und der Räuber Knapp“ aufarbeitete.

Holubs Werke erschienen allesamt nach 1990. | © privat

Sie sagen, dass er besonders schön geschrieben habe. Bei Autoren sind nicht nur Inhalt und Thema wichtig, sondern auch ihre Sprache. Was zeichnet die Sprache von Holub aus?
Mir gefällt seine anschauliche Sprache mit vielen schönen Wortschöpfungen und Bildern. Wenn er etwa von einem „Hallelujatag“ spricht, den er mit dem Jirschi verbringt. Oder dieser ihn Pepitschek nennt „und das sagt er so weich, dass ich an einen gezogenen Apfelstrudel mit viel Zimt und Zucker denken muss.“ Beim „Beltz-Verlag“ heißt es dazu: „Das Wunderfitzige – um ein Wort des Autors zu verwenden – an Josef Holubs Geschichten ist, dass sie trotz des grauen Alltags, den sie beschreiben, so bunt sind wie eine Sommerwiese …“

Holub bekam eine Reihe von Preisen, jedoch nur in deutschsprachigen und englischen Ländern. Wurde beziehungsweise wird er nur dort gelesen und ist in Tschechien nicht bekannt?
Holubs Bücher werden in vielen Ländern gelesen, auch in Tschechien. „Der rote Nepomuk“ ist Schullektüre in manchen Ländern, er wird ja auch verglichen mit Mark Twains „Tom Sawyer“. Holub bekam auch den Sudetendeutschen Kulturpreis für Literatur und Publizistik.

Gedenkstein in Nýrsko | © Karel Velkoborský, CC BY-SA 4.0

Kinderbuch-Autoren erreichen mit ihren Büchern oft eine Millionen-Auflage, wie etwa Astrid Lindgren oder Enid Blyton. Doch weder sie noch andere Kinderbuch-Autoren, abgesehen vielleicht von Selma Lagerlöf, bekamen je einen Nobelpreis. Worin liegt eine Wertigkeit in Holubs Büchern, was macht nach Ihrer Meinung deren besonderen Wert aus?
Wenn man von der Sprache absieht, ist es sicher die Bedeutung der Freundschaft. Die Freundschaften zwischen den Jugendlichen, die er beschreibt, gehen über Gegnerschaften und Grenzen hinweg, auch über Standesgrenzen. Es ist auch die Unvoreingenommenheit der Kinder, die diese Freundschaften möglich macht und sie auch schwerste Situationen – wie etwa Napoleons Russlandfeldzug („Der Russländer“) – überstehen lassen.

Josef Holub wäre im kommenden Jahr 95 geworden. Welches Werk von ihm wird vor allem noch in einigen Jahren gelesen werden?
Ich hoffe, viele. Sicher aber „Der rote Nepomuk“.

Guido Fuchs | © privat

ZUR PERSON
Professor Guido Fuchs, Jahrgang 1953, ist Theologe und Publizist. Bis zu seiner Emeritierung war er Professor für Liturgiewissenschaft an der Universität Würzburg. Fuchs leitet das Institut für Liturgie und Alltagskultur in Hildesheim. Seine Familie lebte väterlicherseits bis Kriegsende in Iglau (Jihlava) und wurde danach in Göppingen heimisch.

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