Unerwartetes Duell
Präsidentschaftswahl: Außenminister Schwarzenberg und Ex-Premier Zeman erreichen die zweite Runde
16. 1. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: čtk
Das vergangene Wochenende bescherte den Wählern einen blaublütigen Gewinner und zwei blasse Verlierer. Jan Fischers Blick sprach Bände. Kurz nach vier Uhr nachmittags trat der Ex-Premier vor die Presse, verkündete seine Niederlage und suchte den schnellstmöglichen Weg aus dem Blitzlichtgewitter. Monatelang hatten Wahlanalysen und Wettbüros den einstigen Chef des Statistikamtes als klaren Favoriten im Rennen um die Burg gehandelt. Einen Tag vor den Wahlen hatte er gegenüber der „Prager Zeitung“ noch versichert, fest mit einem Duell gegen Miloš Zeman zu rechnen. Eine massive Anti-Kampagne, die vor allem seine Vergangenheit in der Kommunistischen Partei anprangerte, und sein staubtrockenes Auftreten in zahlreichen Fernsehdebatten hatten Fischer auf der Zielgeraden ins Straucheln gebracht. Am Ende fehlten mehr als 360.000 Stimmen für den Einzug in die Stichwahl.
Betrübte Blicke auch bei den Bürgerdemokraten. Dem ODS-Kandidaten Přemysl Sobotka hatte zwar niemand ernsthafte Chancen auf den Einzug in die zweite Runde eingeräumt, der vorletzte Platz und 2,5 Prozent der Wählerstimmen gelten jedoch als Armutszeugnis für die größte Regierungspartei.
Euphorie hingegen im Prager Archa-Theater. Ein ungewohnt forscher Karel Schwarzenberg (TOP 09) trat umjubelt an das Rednerpult, bedankte sich bei seinen Wählern und versprach ihnen alles dafür zu tun, damit sich die Aufschrift der Präsidenten-Flagge „Die Wahrheit siegt“ erfüllen wird. Seinen Gegner für die Stichwahl am 25. und 26. Januar bezeichnete er als einen „Mann der Vergangenheit“.
Miloš Zeman (SPOZ), der mit 24,2 Prozentpunkten nur knapp vor Schwarzenberg landete, schoss nur wenige Minuten später von seiner Wahlzentrale auf der Böhmisch-Mährischen Höhe zurück. Schwarzenberg sei ein „Mann der Gegenwart“ und verantwortlich für unpopuläre Steuererhöhungen, die Rückgabe kirchlichen Eigentums und die Rentenreform. „In der zweiten Runde fängt alles bei null an“, gab sich Zeman kämpferisch.
Alter punktet bei den Jungen
Woher aber nahm der betagte Außenminister die Kraft zur großen Aufholjagd? Noch vor kurzem hatten ihn viele lediglich als Pro-forma-Kandidaten der Koalitionspartei TOP 09 wahrgenommen. Mit einer geschickten Wahlkampagne – die vor allem über soziale Netzwerke und öffentliche Großveranstaltungen bei der jungen städtischen Wählerschaft punkten konnte – brachte es der Aristokrat fertig, an seinen Ruf als liebenswerter und korruptionsfreier Retter der angeschlagenen Politkultur anzuknüpfen, die seine konservative TOP 09 im Jahr 2010 in das Parlament befördert hatte. Unabhängig von seinen beiden Posten – zum einen den des stellvertretenden Regierungschefs im umstrittenen Sparkabinett von Petr Nečas, zum anderen den des Vorsitzenden einer Partei, die in letzter Zeit mehrfach mit Korruptionsfällen in Verbindung gebracht wurde – fand Schwarzenberg als Präsidentschaftskandidat viel Zuspruch. Er habe seine Arbeit im Kabinett ordentlich gemacht und er glaube nicht, dass ihm sein Pakt mit TOP-09-Mitbegründer und Finanzminister Miroslav Kalousek – der unlängst mit cholerischen Drohanrufen Ermittlungsverfahren wegen Schmiergeldaffären in der Partei zu stoppen versuchte – auf seinem Weg auf die Burg geschadet habe: „Schließlich ist Kalousek einer der besten Finanzminister Europas“, erklärte ein gelassener Schwarzenberg gegenüber der „Prager Zeitung“ am Rande der letzten großen TV-Diskussion vor dem historischen Urnengang.
Auch die zweistündige Sendung mit allen neun Kandidaten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen könnte ihren Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt haben. Zeitweise verfolgten knapp drei Millionen Zuschauer die sogenannte Superdebatte. Und laut Experten enttäuschte gerade Jan Fischer mit trockenem Auftreten und mangelnder Schlagfertigkeit.
Auch hatten zahlreiche Medien Schwarzenberg ihre Empfehlung ausgesprochen. Die Tageszeitungen „Hospodářské noviny“ und „Lidové noviny“ schrieben auf ihren Titelseiten, Schwarzenberg sei als einziger in der Lage, den vor allem wegen seiner undurchsichtigen Kampagne und zahlreichen Korruptionsaffären aus seiner Zeit als sozialdemokratischer Regierungschef umstrittenen Miloš Zeman Paroli zu bieten.
Noch bevor die Stimmen gänzlich ausgezählt waren, begannen die Spekulationen darüber, wen die ausgeschiedenen Kandidaten ihren Wählern für die Stichwahl ans Herz legen würden. Die Kommunistische Partei verkündete umgehend ihre Unterstützung für Zeman. Lediglich Christdemokratin Zuzana Roithová und Bürgerdemokrat Přemysl Sobotka empfahlen ihren Kandidaten ausdrücklich, ihre Stimme an Schwarzenberg zu geben.
Zum Zankapfel wurde die Frage nach der Wahlempfehlung bei den Sozialdemokraten. Während der viertplatzierte Präsidentschaftsanwärter Jiří Dienstbier seine Unterstützung für den „an die Prager Mafia angebundenen“ Zeman ablehnte, sprach sich die Führung seiner Partei für ihren einstigen Parteivorsitzenden und heutigen Kritiker aus. Aus Angst vor späterer Rache von der Prager Burg, munkeln Beobachter. Die Haltung zu Zeman, der laut den Reformern in der Partei die dunkle Vergangenheit der ČSSD symbolisiert, hatte die Sozialdemokraten bereits vor der ersten Runde gespalten. Wahlanalysen ergeben, dass ein Großteil der ČSSD-Stammwähler für Zeman votiert hatte.
Eine große Unbekannte für die zweite Runde stellen die enttäuschten Wähler von Jan Fischer dar. Nachdem er sich im Wahlkampf vor allem gegen Miloš Zeman abgegrenzt hatte, mochte er nach seiner Niederlage keine Empfehlungen aussprechen.
Kaum jemand wagt es im Moment, Prognosen für die zweite Runde abzugeben. Zeman, der vor allem bei der älteren Wählerschaft und auf dem Land punkten konnte, möchte nun auf das Internet setzen. Schwarzenberg, dessen Hochburgen in den großen Städten lagen – in Prag erhielt er 43,2 Prozent, in Brünn 32,4 Prozent der Stimmen – und der bislang auf die Unterstützung zahlreicher Künstler und Intellektueller bauen konnte, möchte die Wählerschaft wiederum mit einer Telefonkampagne überzeugen. Eines steht fest: Die Tschechen erwartet ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Mann der Vergangenheit und dem Mann der Gegenwart.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“