Ungeahnte Vielfalt
In der Galerie Rudolfinum dreht sich alles um die Kunst des Schnappschusses
29. 1. 2014 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach; Galerie Rudolfinum
Mit dem Ausstellungstitel „Only The Good Ones. The Snapshot Aesthetic Revisited“ (frei übersetzt: „Nur die guten Fotos. Ein neuer Blick auf die Ästhetik des Schnappschusses“) lockt die Galerie Rudolfinum seit vergangener Woche Liebhaber moderner Fotografie zu einem Besuch. „Only the Good Ones“ ist dem üblichen Wortwechsel nachempfunden, den die Älteren noch aus der Zeit der analogen Fotografie kennen: „Hochglanz oder matt? 9×13? Alle oder nur die guten?“
So oder so ähnlich fragte der Angestellte im Fotolabor bei der Übernahme des belichteten Materials. Doch Kurator Michal Nanoru (über den diese Zeitung bereits im vorigen Jahr (Nr. 38/2013) als Autor der Geschichte des Skateboardens in Tschechien berichtete) hat sich immer schon für „alle“ interessiert. Er will es nicht dem Fotolaboranten überlassen, die „guten“ Schnappschüsse von den schlechten zu scheiden.
In der Ausstellung zeigt Nanoru anhand von über 250 Bildern, wie die gewöhnlichen Schnappschüsse von Laienfotografen – also die überwiegende Bildproduktion seit der Erfindung des Fotoapparats – über die Jahrzehnte hin die künstlerische Sicht und damit das Schaffen vieler herausragender Fotografen inspiriert hat. Dieser Prozess war vor allem in Amerika zu beobachten. Entsprechend sind europäische Fotografen mit ihren Arbeiten in der Ausstellung kaum vertreten. So findet sich kein Tscheche, doch immerhin Jürgen Teller, ein Deutscher mit tschechischen Wurzeln, und die Britin Corinne Day, beide bekannt durch ihre Bilder von Kate Moss.
„Fotos sind wie Rockmusik“
Fast alle anderen der 40 Autoren sind Amerikaner, darunter viele berühmte Künstler. Zum Beispiel Lee Friedlander, der unmittelbar nach dem Krieg zu fotografieren begann und sich einen Namen als kritischer Chronist der amerikanischen Gesellschaft machte. Oder William Eggleston, der in seinen Arbeiten dem Genre des Schnappschusses ungeahnte Vielfalt abgewann und viele Nachfolger beeinflusste. Ferner begegnen wir Nan Goldin, die sich in ihrer Arbeit mit Sex und Gewalt auseinandersetzt und dabei nicht scheut, sich selbst und ihre Freunde einzubeziehen. So wie eben Schnappschüsse ursprünglich fürs Familienalbum gedacht sind.
Manche Besucher werden sich schwertun, alle gezeigten Exponate vorbehaltlos als Kunst gelten zu lassen. Nicht wenige könnten sich bei der Betrachtung des einen oder anderen Bildes in ihrem ästhetischen Empfinden verletzt fühlen. Deshalb ist es hilfreich, dass Nanoru in einem handlichen Katalog nicht nur fast alle Bilder der Ausstellung reproduziert hat, sondern in einem ausführlichen Essay die Geschichte dieses besonderen Genres der Fotokunst aufzeigt.
Er geht dabei den mannigfachen Querbezügen zwischen den einzelnen Künstlern nach. Schließlich zieht Nanoru, in Anlehnung an den Kunst- und Kultursoziologen Motti Regev, eine Parallele zur Rockmusik: „Rock, ebenso wie der Schnappschuss, wird oft als Rebellion und als Kritik der dominanten Kultur interpretiert“, ist aber gleichzeitig „in der zeitgenössischen Kultur ungemein verbreitet und spielt eine enorme Rolle für die Identität von Individuen und Gruppen.“ Man muss allerdings nicht zwangsläufig ein Fan von Rockmusik sein, um Spaß an dieser unterhaltsamen, spannenden und gelegentlich sperrigen Bilderschau zu haben. Aber die Bereitschaft, alltägliche Dinge unter neuem Blickwinkel zu sehen, sollte man schon mitbringen.
„Only The Good Ones. The Snapshot Aesthetic Revisited“. Galerie Rudolfinum (Alšovo nábřeží 12, Prag 1), geöffnet: täglich außer montags 10–18 Uhr (Do. bis 20 Uhr), Eintritt: 130 CZK (ermäßigt 80 CZK), www.galerierudolfinum.cz, bis 6. April
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