Unters Messer zum halben Preis
Ob Augen-OP, Brustvergrößerung oder künstliche Befruchtung: Der Gesundheitstourismus in Tschechien floriert
2. 4. 2014 - Text: Ivan DramlitschText: Ivan Dramlitsch; Foto: James C. Mutter
Es passierte während eines Malediven-Urlaubs. Kontaktlinsenträgerin Peggy Biczysko bekam auf einmal Probleme mit ihren Augen, bis sie sich schließlich entzündeten. Also musste sie auf die Brille zurückgreifen, was auf den Malediven jedoch ein echter Nachteil ist: „Das Grandiose dort ist die Unterwasserwelt. Aber mit Brille eine Taucherbrille tragen, das geht nicht“, erzählt die Journalistin. Doch für immer auf das Tauchen verzichten, damit wollte sie sich nicht abfinden. Ein anderer deutscher Urlaubsgast wies sie auf eine günstige Lasik-OP in Prag hin. Bei dieser Methode, die sogenannte Laser-in-situ-Keratomuleusis, tragen Ärzte die Hornhaut des Patienten so ab, dass er anschließend wieder scharf sehen kann.
Biczysko fiel die Entscheidung nicht schwer. Nach erfolgreicher Voruntersuchung in Deutschland fuhr sie nach Prag, um den Eingriff vornehmen zu lassen. Alles lief problemlos. „Als ich am Morgen nach der OP die Klappen abnahm, habe ich so scharf gesehen wie nie in meinem Leben zuvor. Das war wie ein Wunder“, sagt Biczysko, die auch mit dem „Drumherum“ sehr zufrieden war. „Perfekter Service, problemlose Kommunikation, wunderbares Ambiente. So ein Niveau haben in Deutschland nicht alle Praxen.“ Und das Beste: Für die Laser-OP zahlte sie gerade mal 30 Prozent dessen, was in Deutschland berechnet wird.
Peggy Biczysko ist nicht die einzige Deutsche, die sich in Tschechien hat behandeln lassen. Immer mehr Patienten aus Westeuropa fahren nach Böhmen und Mähren, um medizinische Dienste in Anspruch zu nehmen. Offizielles Zahlenmaterial gibt es zwar nicht, aber qualifizierte Schätzungen gehen von zigtausend Medizintouristen jährlich aus. „Der Hauptgrund für das große Interesse vor allem westeuropäischer Gesundheitstouristen ist das hohe, mit westeuropäischen Standards vergleichbare medizinische Niveau, und das allerdings zu Preisen, die 50 bis 70 Prozent günstiger sind“, bestätigt Martin Lambert den derzeitigen Boom. Lambert ist Finanzdirektor der privaten Prager Iscare-Klinik, die auf ausländische Klienten spezialisiert ist und jährlich über zehn Millionen Euro Umsatz macht. Allein aus Deutschland haben im vergangenen Jahr mehr als 1.000 Patienten ihre Dienste in Anspruch genommen. „Eine Gallenblasen-Entfernung kostet in Deutschland beispielsweise rund 3.300 Euro, in Tschechien etwa 1.100 Euro, und ähnliche Preisunterschiede gelten für alle angebotenen ärztlichen Leistungen“, so Lambert.
Grenzenloser Kinderwunsch
Besonders gefragt sind Leistungen, die die deutschen Krankenkassen nicht ohne Weiteres übernehmen. Dazu gehört vor allem die plastische Chirurgie. Ganz oben auf der Wunschliste stehen Brust-OPs. Sie machen nahezu 50 Prozent aller Schönheitsoperationen aus, berichtet Lambert. Stark nachgefragt werden darüber hinaus Fettabsaugungen, Bauchdecken- und Gesichtsstraffungen sowie Augenlidkorrekturen. „Bei der plastischen Chirurgie gehören unsere typischen deutschen Klienten in der Regel der mittleren Einkommensgruppe an. Sie nutzen den Preisunterschied, der im Vergleich zu Deutschland recht deutlich ausfällt. Überwiegend sind es Frauen, aber auch immer mehr Männer interessieren sich für die Möglichkeiten der plastischen Chirurgie“, erläutert Lambert das Profil der ausländischen Kunden.
Für viele Patienten aus Deutschland spielt aber nicht nur der Preis, sondern auch die Gesetzeslage eine Rolle. Zumindest gilt das für ungewollt kinderlose Paare, die ihrem Glück mittels Reproduktionsmedizin nachhelfen möchten. In Deutschland sind den sogenannten „ART“, den „Assisted reproductive technologies“ nämlich relativ enge Grenzen gesetzt. So verbietet das Embryonenschutzgesetz von 1991 unter anderem die sogenannte „In-vitro-Fertilisation“ (IVF) mittels Eizellspende. Dabei wird einer Spenderin eine Eizelle entnommen, mit dem Samen des Partners der Empfängerin befruchtet und dieser eingesetzt. „Dieses Verfahren ist in Tschechien erlaubt, deshalb kommen viele unfruchtbare Paare aus dem Ausland hierher, um es in Anspruch zu nehmen. Wir schätzen, dass im vergangenen Jahr 4.000 bis 5.000 solcher IVF-Zyklen für ausländische Patienten vorgenommen wurden“, so Martin Lambert von der Iscare-Klinik. Damit ist Tschechien gemeinsam mit Spanien europäischer Spitzenreiter.
Staatliche Unterstützung
Dass Medizintourismus derzeit im Trend liegt, dafür machen Fachleute auch eine Art Einstellungswandel verantwortlich – für ärztliche Eingriffe ins Ausland zu reisen, habe nichts Anrüchiges mehr, sondern werde für die westeuropäische Mittelschicht zu einer „normalen Sache, vor der man keine Angst mehr hat“, meint beispielsweise Ondřej Šebestík vom Branchenportal „Healthczech.com“.
Vor allem aber sind Gesundheitstouristen ein wirtschaftlich relevanter Faktor. Ein ausländischer Patient, so zeigen entsprechende Untersuchungen, gibt täglich rund 260 Euro aus, also fast dreimal mehr als ein „normaler“ Tourist. Auch seine Aufenthaltsdauer, in der Regel ein bis zwei Wochen, liegt deutlich über dem Schnitt eines gewöhnlichen Besuchers. Das enorme ökonomische Potential dieses Phänomens haben auch offizielle Stellen längst erkannt. „Dieses Segment ist sowohl hinsichtlich der Einnahmen als auch der Aufenthaltsdauer von Bedeutung“, bestätigt CzechTourism-Sprecherin Michaela Klofcová.
Die staatliche Tourismus-Agentur unterstützt deshalb seit 2011 aktiv den Gesundheitstourismus. Derzeit werde intensiv an neuen Rebranding- und Marketingstrategien gearbeitet, um Tschechien als ein Top-Reiseziel des Medizintourismus zu etablieren. Die Konkurrenz schläft nämlich nicht: Auch in Polen oder Ungarn hat man erkannt, dass sich zahlungskräftige Westeuropäer nicht nur mit Burgen, Schlössern und schönen Landschaften anlocken lassen.
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