Versöhnliche Gesten
Brünn entschuldigt sich für Todesmarsch – Sudetendeutsche schweigen zu Beneš-Dekreten
27. 5. 2015 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: čtk/dpa
Man sollte Symbolpolitik nicht überbewerten. Aber wer weiß, wie sich deutsche und tschechische Politiker in der Vergangenheit gewunden haben – selbst wenn es nur um kleine Gesten ging –, dürfte über die Ereignisse der vergangenen Woche erstaunt sein. Den Anfang machte die Stadt Brünn, als sie am Dienstag die „Abschiebung“ („odsun“) der Deutsch sprechenden Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg offiziell bedauerte.
Gegen die Stimmen der Kommunisten verabschiedete das Stadtparlament eine „Deklaration der Versöhnung und gemeinsamen Zukunft“, die Oberbürgermeister Petr Vokřál (ANO) mit den Worten kommentierte: „Wir haben den Wunsch, dass jedes vergangene Unrecht vergeben werden kann und wir uns mit der Vergangenheit nicht belasten.“ Beim sogenannten Brünner Todesmarsch waren rund 20.000 Brünner Deutsche aus der Stadt vertrieben worden, viele starben dabei an Hunger und Erschöpfung. In der Erklärung heißt es nun: „Die Stadt Brünn bedauert aufrichtig die Ereignisse vom 30. Mai 1945 und der folgenden Tage, als Tausende Menschen auf der Grundlage des Prinzips der Kollektivschuld oder aufgrund ihrer Sprachzugehörigkeit gezwungen wurden, die Stadt zu verlassen.“
Um ein offizielles Bedauern hatte sich die tschechische Bürgervereinigung „Jugend für interkulturelle Verständigung“ bereits vor 15 Jahren bemüht. Nach langem Ringen war damals ein Dokument verabschiedet worden, das die Initiatoren enttäuschte. Diesmal soll es nicht allein bei einer Erklärung bleiben: 70 Jahre nach Kriegsende hat die Stadt das „Jahr der Versöhnung“ ausgerufen, um den Brünner Opfern der Kriegs- und Nachkriegszeit zu gedenken.
Weitere deutliche Zeichen kamen dann am Wochenende aus Augsburg – ausgerechnet vom Pfingsttreffen der Sudetendeutschen, wo in den vergangenen Jahren immer wieder auf das Reizthema Beneš-Dekrete hingewiesen wurde. Diesmal fanden die umstrittenen Beschlüsse in den offiziellen Redebeiträgen keine Erwähnung. Betont wurde stattdessen der Wille zur Versöhnung. Auf tschechischer Seite sorgte Vizepremier Pavel Bělobrádek (KDU-ČSL) für eine entgegenkommende Geste. In einer in Augsburg ausgestrahlten Videobotschaft bezeichnete er die Sudetendeutschen als „Landsleute“.
Dass die großen Gesten der Politiker nicht unbedingt für die Meinung der Bürger stehen, zeigt eine aktuelle Umfrage von NMS Market Research und der Initiative „Gedächtnis der Nation“: Die Mehrheit der Tschechen hält die Vertreibung demnach für unausweichlich (70 Prozent) und gerecht (61 Prozent). Zwei Drittel der Befragten zeigten sich überzeugt, dass die Sudetendeutschen nach wie vor ihr ehemaliges Eigentum in Tschechien zurückhaben wollen und diese Anstrengungen fortsetzen werden.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“