Vier Jahre nach dem Tsunami

Vier Jahre nach dem Tsunami

Nach dem Triumph der ČSSD wählen die Tschechen erneut ihre Kreishauptmänner und 27 Senatoren – ein weiterer Stresstest für die Regierung und Petr Nečas

10. 10. 2012 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: čtk

 

Am kommenden Wochenende stellt sich den tschechischen Bürgern die Frage nach dem geringeren von zwei Übeln. Am Freitag und Samstag finden Senats- und Regionalwahlen statt. Dabei geht es um ein Drittel der Sitze im Prager Waldstein-Palais und die Vertretungen von 13 Kreisen. Vor allem die Sozialdemokraten (ČSSD) versuchen mit nationalen Themen wie der umstrittenen Kirchenrestitution zu punkten und rufen dazu auf, am Wochenende der Regierung Nečas die Leviten zu lesen. Die ODS hingegen weist auf Misserfolge in den Kreisen – die steigende Verschuldung etwa – hin. Die Wähler können nun also entweder die Mitte-Rechts-Regierung für ihre unerbittliche Sparpolitik und Korruptionsaffären abstrafen oder die sozialdemokratischen Hauptmänner für Schmiergeld-Skandale, eine teils allzu großzügige Haushaltspolitik und versickerte EU-Gelder.

Bislang scheint es, als würden die Sozialdemokraten die meisten ihrer regionalen Bastionen halten können. Im Aufwind sind jedoch vor allem die Kommunisten (KSČM). Meinungsforscher sind sich einig darüber, dass die ČSSD vor allem in den mährischen Kreisen vorne liegt. In West-, Mittel- und Südböhmen scheint das Rennen zwischen Bürger- und Sozialdemokraten etwas spannender zu laufen. Im Kreis Ústí nad Labem deuten die Umfrageergebnisse der Agenturen STEM/MARK und SC&C auf eine Radikalisierung der Wählerschaft hin: Reale Hoffnungen auf einen Wahlsieg kann sich dort die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens machen, nur knapp unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde befand sich in der vergangenen Woche die rechtsextreme DSSS.

Mehr Schulden, wenig Transparenz
Ein „oranger Tsunami“, wie der Sieg der Sozialdemokraten bei den vergangenen Wahlen genannt wurde, der der ČSSD – teils in Koalition mit der ODS, teils mit der KSČM – alle 13 Kreise einbrachte, könnte sich wiederholen; nur wird die Welle diesmal wohl nicht ganz die Wucht von 2008 erreichen. Selbst der stark mediatisierte Korruptionsfall um den einstigen Kreishauptmann Mittelböhmens David Rath konnte der starken Position der Sozialdemokraten im Prager Speckgürtel kaum etwas anhaben. Und das obwohl, nachdem Rath mit einem Weinkarton voller Bestechungsgelder erwischt wurde, seine damaligen Kollegen weiter für die mittelböhmische ČSSD kandidieren.

Vor vier Jahren konnte die ČSSD im tschechischen Durchschnitt – Prag ausgenommen, dort wird neben dem Oberbürgermeister kein Hauptmann gewählt – 35,9 Prozent der Wähler überzeugen. Die ODS landete mit mehr als 12 Prozentpunkten auf Rang zwei, gefolgt von den Kommunisten. Lediglich die Christdemokraten konnten damals noch die Fünf-Prozent-Marke überwinden. Das dürfte sich dieses Jahr ändern, da zum ersten Mal auch die Schwarzenberg-Partei TOP 09 im Kampf um die Regionen antritt. Auch die Partei des Präsidentschaftskandidaten Miloš Zeman (Strana práv občanů – Zemanovci), die Grünen sowie einige regionale Gruppierungen könnten dieses Jahr in die Regionalvertretungen einziehen.

Der Blick zurück auf vier Jahre oranger Politik in den Regionen sollte dabei bei den Wählern eher für Ernüchterung sorgen. Nicht nur Mittelböhmen, auch die Kreise Ústí nad Labem und Mährisch-Schlesien sehen sich mit handfesten Korruptionsskandalen konfrontiert. Die Verschuldung ist durchschnittlich um zweieinhalb Milliarden Kronen (rund 100 Millionen Euro) im Jahr gestiegen – was allerdings keinen großen Unterschied zur vorangegangenen Amtsperiode bedeutet, als wiederum die ODS alle 13 Kreishauptmänner stellte. Etwas tiefer griffen die Sozialdemokraten in die Haushaltskassen der Regionen Olomouc und Mittelböhmen. Populist Rath gab alleine 300 Millionen Kronen (etwa 12 Millionen Euro) für kostenlose Schüler- und Studentenfahrkarten und 140 Millionen (circa 5 Millionen Euro) für die zeitweilige Erstattung von Arztgebühren aus. Im Schulwesen bemühten sich die Kreisregierungen um eine Stärkung der Berufsschulen, die versprochene Gegenoffensive zur Gesundheitspolitik der Prager Regierung blieb weitestgehend aus, kritisiert wird vor allem die geringe Transparenz in der Regionalpolitik. „Es ist klar ersichtlich, dass die Kreisvertreter keine große Initiative zeigen, wenn es um die Durchsetzung von ethischen Kodexen bei sich selbst geht“, sagt Vít Sochovský, dessen Organisation „Oživení“ („Wiederbelebung“) die Politik der Kreishauptmänner in den letzten vier Jahren unter die Lupe genommen hat.

Der Fall Nečas
Mit besonderer Spannung dürfte Regierungschef Petr Nečas (ODS) den Ergebnissen vom Wochenende entgegensehen. Politologe Robert Schuster sieht in den Regionalwahlen einen Bewährungstest für den Vorsitzenden der Bürgerdemokraten. Falls seiner Partei ein weiteres Wahldebakel ins Haus steht, könne das den entscheidenden Rückenwind für seine innerparteilichen Gegner bedeuten. Die blockieren momentan die Durchsetzung einer entscheidenden Steuerreform, die der Regierungschef mit der Vertrauensfrage verbunden hat. Stellen sich die Abgeordneten um  Petr Tluchoř weiter quer, könnte die Regierung stürzen und auf dem Parteitag im Dezember dann Nečas vom Parteithron.

Entscheidend ist dabei vor allem die Senatswahl, deren erster Wahlgang ebenfalls am kommenden Wochenende stattfindet. Verliert die ČSSD die Mehrheit in der oberen Kammer des Parlaments, dann hat Nečas ein Problem weniger und muss „nur noch“ mit der Blockadehaltung des Präsidenten zurecht kommen. Der Kampf um den Senat gestaltet sich um einiges unübersichtlicher. Im Durchschnitt kämpfen hier neun Kandidaten um jedes der 27 vakanten Mandate. Viele gehen als unabhängige Senatoren ins Rennen oder gehören kleineren lokalen Gruppierungen an. Entscheidend ist hier vor allem ein guter Draht zu den Bürgern im Wahlkreis. Um die absolute Mehrheit im Senat zu halten, müssten die Sozialdemokraten in sieben Wahlkreisen gewinnen.