Visegrád und der Plan B

Visegrád und der Plan B

Beim Sondergipfel suchen die V4-Staaten nach einer alternativen Strategie in der Flüchtlingskrise

17. 2. 2016 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: Vláda ČR

Richtig in Feierlaune waren die Regierungschefs von Tschechien, Polen, Ungarn und der Slowakei nicht, als sie sich am Montag in Prag trafen. Einen Grund zum Anstoßen hätte es gegeben: Vor 25 Jahren haben sich die vier Staaten zur Visegrád-Gruppe (V4) zusammengeschlossen. Doch schon im Vorfeld war klar, dass das vergangene Vierteljahrhundert bei den Gesprächen in Prag nur eine untergeordnete Rolle spielen würde. Stattdessen sollte der Umgang Europas mit Flüchtlingen die Tagesordnung bestimmen.

Vor allem Deutschland hatte die V4-Beratungen kurz vor dem EU-Gipfel in Brüssel mit Skepsis betrachtet. Es war nicht zu erwarten, dass Bohuslav Sobotka, Beata Szydło, Victor Orbán und Robert Fico auf den Kurs der Bundesregierung einschwenken würden. Zudem hatten sie auch Mazedoniens Präsident Gjorge Ivanov und Bulgariens Premier Bojko Borissow eingeladen. Am Ende präsentierte das Bündnis einen alternativen Plan, der vorsieht, eine „Reservegrenze“ südlich von Ungarn zu errichten, um die Balkanroute abzuriegeln.

Diese Überlegungen hatten bereits vor dem Treffen für Kritik gesorgt. Sowohl der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) als auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnten die Pläne ab. Man könne nicht formell oder informell die Grenzen der Europäischen Union neu ziehen, sagte Steinmeier bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen. Vermeintlich einfache Lösungen führten nicht weiter. Der luxemburgische Außen­minister Jean Asselborn warnte die Visegrád-Staaten davor, zu einem „Verein der Abtrünnigen“ innerhalb der EU zu werden und deutete indirekt die Möglichkeit an, EU-Mittel zu kürzen.

Die V4-Staaten ließen sich davon offenbar nicht beeindrucken, als sie gemeinsam ihren „Plan B“ ausarbeiteten und vorstellten. Auf welche Vorschläge der hinauslaufen würde, konnte man vorher bereits absehen. Die skeptische Haltung in der Flüchtlingsfrage einigt den Großteil der Verantwortlichen zwischen Warschau und Budapest. Einzig Tschechiens Premier Sobotka wählte bisher einen vergleichsweise moderaten Kurs gegenüber Brüssel. Alle gemeinsam blicken jedoch mit viel Skepsis in Richtung Ägäis und glauben nicht recht daran, dass die Türkei und Griechenland in der Lage sind, die bestehenden Probleme zu lösen.

In der offiziellen, in Diplomatensprache verfassten Mitteilung der V4-Staaten heißt es nun zwar, die Länder seien weiterhin davon überzeugt, „dass nur ein gesamteuropäisches Vorgehen innerhalb des EU-Verbundes“ zu einer Lösung führe. Und das könne auch nur über ein Abkommen mit der Türkei sowie Griechen­land geschehen. Dennoch will die Visegrád-Gruppe nun auch ihre Hilfe für Bulgarien und Mazedonien verstärken. Dort sollen es Grenz­beamte, Stacheldraht und möglicherweise sogar Streitkräfte aus den V4-Staaten möglich machen, im Notfall eine Art „Reservegrenze“ für den Schengen­raum zu errichten.

„In der EU fehlt in der aktuellen Krise eine realitätsnahe Bewertung der Probleme. Deshalb brauchen wir einen Plan B“, erklärte der slowakische Premier Fico. Auch die polnische Regierungschefin Szydło betonte, dass die eigene Haltung in erster Linie der Vernunft geschuldet sei. „Europa muss die Flüchtlingsströme unter Kontrolle bringen. Wir erwarten, dass bis im Frühjahr die Maßnahmen und Absprachen mit der Türkei greifen. Europa steht vor großen Herausforderungen, die nur mit dem nötigen Maß an gesundem Menschenverstand gemeistert werden können“, so die PiS-Politikerin.

Victor Orbán sieht eine „historische Aufgabe“ auf den Kontinent zukommen. „Die bisherige Flüchtlingspolitik ist gescheitert.“ Auch der Fidesz-Vorsitzende möchte eine EU-weite Konsenslösung. Er hob dabei aber eine bedeutendere Rolle „einer starken Visegrád-Gruppe in einer dadurch noch stärkeren EU“ hervor. Dass die nun geäußerten Vorschläge der V4-Staaten der bisherigen Strategie Brüssels fast schon diametral entgegenstehen, erwähnte Orbán nicht. Er fürchte aber um den Wohlstand und die Stabilität Europas, sollte der Zustrom von Flüchtlingen nicht gebremst werden.

Vorsichtiger als seine Kollegen drückte sich Bohuslav Sobotka aus. Für ihn ist klar, dass die „Europäische Union als Ganzes mehr unternehmen muss, um Mazedonien und Bulgarien zu helfen, die notwendigen Aufgaben beim Schutz ihrer Grenzen zu bewältigen“.

Prag hat noch bis Mitte des Jahres den Vorsitz der Visegrád-Gruppe inne und wählte als Motto den englischen Begriff „Trust“. „Vertrauen“ wollen die ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion in erster Linie in ihre eigene Stärke und ein gesteigertes Selbstbewusstsein, das sie nun auf dem Prager Hradschin so deutlich demonstrierten wie selten seit ihrem Beitritt zur Europäischen Union vor fast zwölf Jahren.