Volles Rohr böhmisch
Blasmusik als Hobby – das stößt nicht überall auf Verständnis. Dies habe sie schon erfahren, als sie in ihrem musischen Gymnasium das Abitur auf einem Tenorhorn ablegen wollte, erzählt Katja Lutz. „Dafür brauchte ich eine Sondergenehmigung.“ Als sie dann noch angab, gerne Blasmusik zu spielen, schlugen „viele Leute vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen.“
Dieses „unschicke“ Image der Blasmusik bekommen Jugendliche auch heute noch zu hören. „Doch unsere jungen Musiker stehen dazu“, freut sich Lutz. Größere Probleme bereitet der Kapelle, wenn Fußballtraining und Musikprobe am gleichen Tag stattfinden. Denn manches Mitglied könne sich für das eine wie das andere erwärmen. Zudem lernen immer weniger Kinder noch ein Instrument. Die Tochter von Katja Lutz spielt Trompete, studiert aber auswärts. Solche Umzüge sind ein weiteres Handicap für die Kapelle.
Trotzdem gebe es keine Nachwuchsprobleme, auch wenn geeignete Musiker nicht mehr nur im eigenen Dorf gefunden werden. Zumal die Musikanten vorgesorgt und 2008 die „Jungen Hergolshäuser“ gegründet haben. Dort werden derzeit 20 Jugendliche ausgebildet und an die böhmische Musik herangeführt.
Um ihre hohe Qualität zu halten, führt die Kapelle regelmäßig Workshops durch. Mit Dozenten wie Zdeněk Gurský von „Gloria“. Und Vlado Kumpan, einen Trompeter aus Bratislava, der am heimischen Nationaltheater und im Rundfunkorchester spielte und mit seiner Blaskapelle 2003 die Profi-EM gewann.
Auch die Hergolshäuser waren bei diesem Wettbewerb erfolgreich. Lange verkündete ein Transparent am Ortseingang ihrer Heimatgemeinde unweit von Würzburg: „Europameister der böhmisch-mährischen Blasmusik.“ Drei Mal erspielten sich die Hergolshäuser Musiker diesen Titel in der höchsten Amateurstufe: 2000, 2002 und 2003. Das Transparent wurde zwar längst entfernt, „aber die Triumphe bleiben was ganz Besonderes“, blickt Katja Lutz gerne zurück. Niemals hätten die Hergolshäuser damit gerechnet, zu gewinnen, sich quasi nur aus Spaß an der Freude angemeldet. Zudem war die Konkurrenz riesengroß. „Deshalb ist es bis heute ein unvergessliches Erlebnis für alle, die dabei waren.“
Teilnehmer kamen aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden – aber kurioserweise nicht aus Böhmen. „Obwohl es sicher welche gab, die besser gewesen wären als andere“, vermutet Lutz. Die Amateure traten in drei Kategorien an, eine weitere Leistungsstufe gab es für Profis. Sie mussten mehrere Pflichtstücke und etliche Wahltitel vorspielen.
Die Jury bestand sich aus renommierten Blasmusikern wie dem Niederländer Freek Mestrini, der Trompete wie Flügelhorn lehrt. Oder dem Slowaken Adam Hudec, der am Konservatorium in Bratislava studierte und im Orchester des slowakischen Rundfunks spielte. Er komponierte 2002 die „Drosselpolka“ für die Hergolshäuser, als sie erneut gewannen.
Bei dieser EM wurde die Schwierigkeit der ausgewählten Stücke bewertet, ebenso wie sie präsentiert wurden und beim Publikum ankamen. „Es ging auch darum, ob der Funke überspringt“, fasst Katja Lutz knapp zusammen. Dass alle Orchester sauber und fehlerfrei spielen, wurde sowieso erwartet. Dass ausgerechnet die Hergolshäuser gewannen, könnte daran gelegen haben, dass „bei uns Spielfreude und Leidenschaft für diese Musik besonders spürbar waren.“
Mittlerweile werden immer mehr Wettbewerbe ausgeschrieben, etwa ein „Grand Prix der Blasmusik“, doch im Jahr 2000 sei diese EM die einzige Konkurrenz für böhmisch-mährische Blasmusik gewesen. Und er wurde zum ersten Mal überhaupt durchgeführt. „Deshalb war unser Sieg umso bedeutender“, so Lutz. Bei dieser Erstauflage gewann die „Blaskapelle Gloria“ aus Vracov in Südmähren den Profi-Wettbewerb. Mit Mitgliedern, die Konservatorien und Musikhochschulen besuchten. Geleitet wird die Kapelle, die bereits zig Tonträger aufgenommen hat, von Zdeněk Gurský, der selbst Trompete spielt. Zu dieser Kapelle bauten die Hergolshäuser eine langjährige Beziehung auf. „Wir haben sie mehrfach engagiert, wir kennen und schätzen uns, haben auch schon zusammengespielt.“
Harte Arbeit und der große Zusammenhalt machen nach Meinung von Katja Lutz den Erfolg der Hergolshäuser über so viele Jahre aus. Und: „Wir haben nie die Bodenhaftung verloren.“ Schon oft waren sie in Fernseh- und Radiosendungen zu hören. Mehrfach traten sie mit bekannten Künstlern wie Ernst Hutter und den Original Egerländer Musikanten auf.
Deren Gründer Ernst Mosch ist für Katja Lutz ein Vorbild. Als Jugendliche sei sie zu seinen Live-Konzerten gepilgert, im Allgäu besuchte er sogar ein Konzert der Hergolshäuser und unterhielt sich dort mit Dirigent Fischer. „Früher gab es eigentlich nur ihn“, erinnert sich Lutz. Tatsächlich war und ist Ernst Mosch, der 1925 in Zwodau (Svatava bei Sokolov) geboren wurde und 1999 verstarb, für viele Blasmusik-Fans bis heute ein Idol. Er spielte über 1.000 Konzerte in 42 Ländern und verkaufte rund 40 Millionen Tonträger, weshalb er mit zahlreichen Goldenen und Platin-Schallplatten ausgezeichnet wurde.
Auch wenn längst viele neue Profis mitmischen, kommen Lieder von Ernst Mosch wie früher sehr gut an. „Das sind eben Gassenhauer.“ Auch die Hergolshäuser begrüßen ihre Zuhörer gerne mit Kompositionen von ihm, quasi als „Warm-up“. Die besten Musiker würden nichts nützen, wenn ihnen Gespür und Herz für die böhmische Musik fehle, sagte Mosch einmal. Womit er den Hergolshäusern aus der Seele sprach.
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