Vom Export angetrieben
Automobilbranche baut Position als wichtigster Wirtschaftszweig aus – zahlreiche Investitionen in der Zulieferbranche
3. 10. 2012 - Text: Friedrich GoedekingText: Gerit Schulze; Foto: Hyundai
Tschechiens Automobilindustrie konnte im ersten Halbjahr 2012 fast nahtlos an die Erfolge des Vorjahres anknüpfen. Vor allem Hyundai und Škoda sind erstaunlich robust gegenüber den Verwerfungen am europäischen Absatzmarkt. Auch das Volumen der Neuzulassungen ist hierzulande weiter gestiegen. Während die große Investitionswelle in den Fahrzeugfabriken ausläuft, bauen die Zulieferer und Komponentenhersteller ihr Engagement in Böhmen und Mähren weiter aus.
Die Fahrzeugbranche in Tschechien könnte 2012 noch einmal ein Rekordjahr hinlegen, bevor die Krise auf den Auslandsmärkten den Absatz ausbremsen wird. Im ersten Halbjahr stieg die Kfz-Produktion gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 4,7 Prozent auf 662.500 Autos. Wachstumsmotor war der starke Export. Die Ausfuhren an Pkw haben in den ersten sechs Monaten des Jahres um 6 Prozent auf über 740.000 zugenommen.
Allerdings erfasst der Aufschwung nicht alle drei großen Automobilhersteller. Während Škoda Auto seine Produktion von Januar bis Juni um 5,7 Prozent ausweiten konnte und das Hyundai-Werk in Nošovice sogar ein Plus von 36,4 Prozent verbuchte, sank der Ausstoß bei TPCA Czech um fast 22 Prozent.
Für das Gesamtjahr 2012 rechnet der Automobilverband SAP im besten Falle mit einem leichten Wachstum der Produktion und verweist auf die sinkenden Zulassungszahlen auf den europäischen Absatzmärkten. Trotzdem könnte Tschechien bis zum Jahresende einen neuen Gipfel erklimmen und erstmals mehr als 1,2 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge produzieren. Die Entwicklung 2013 hängt stark von der Ausweitung der Euro-Krise und der Konjunktur in China oder Russland ab.
Potenzial bleibt
Der Binnenmarkt für Fahrzeuge ist angesichts der Rezession, die Tschechien derzeit durchläuft, erstaunlich robust: Im ersten Halbjahr ist der Absatz von Neuwagen um 6,7 Prozent auf über 94.000 gestiegen. Lediglich das Minus bei Nutzfahrzeugen (leichte Nfz -3,4 Prozent, Lkw -5,5 Prozent) zeugt davon, dass die Wirtschaft in der Krise steckt.
Als Absatzmarkt bietet Tschechien immer noch Potenzial. Ende 2011 waren 4,58 Millionen Pkw im Land registriert. Eine Marktsättigung wird erst für die Jahre 2015 bis 2016 erwartet – mit einem Bestand von dann rund 5,7 Millionen Pkw. Spielraum für mehr Neuzulassungen entsteht durch das hohe Durchschnittsalter des Fahrzeugbestands, das fast 14 Jahre beträgt.
Enttäuschend sind die aktuellen Zahlen bei der Elektromobilität. Im Jahr 2011 fanden nur 56 Elektroautos einen Käufer. Im 1. Halbjahr 2012 wurden 21 E-Mobile neu registriert, so dass aktuell rund 180 solcher Fahrzeuge im Land unterwegs sind. Volkswagen will 2013 sein Elektromodell „e-Up!“ auf dem Markt einführen und in der Anfangsphase bis zu 200 Fahrzeuge pro Jahr verkaufen. Der halbstaatliche Energiekonzern ČEZ hat ein Pilotprojekt zum Aufbau von Ladestationen gestartet und investiert mehrere Millionen Euro in die Infrastruktur.
Gute Auftragslage
Dank seiner gegenwärtigen Stärke baut die Fahrzeugindustrie ihre Position als wichtigster Wirtschaftszweig Tschechiens weiter aus. Bereits im vorigen Jahr stiegen die Produktionsumsätze der Hersteller von Fahrzeugen und Zubehör um fast 16 Prozent auf 735,7 Milliarden Kronen (30 Milliarden Euro). Für das erste Quartal 2012 ermittelte die Statistikbehörde einen Produktionszuwachs von 12,8 Prozent. Zur Jahresmitte hin verlangsamte sich dieser Aufschwung jedoch. Im Mai (letzte verfügbare Zahl) betrug das Plus im Vergleich zum Vorjahr nur noch 0,5 Prozent. Die Auftragslage bleibt jedoch gut. In den Orderbüchern standen von Januar bis Mai rund ein Fünftel mehr Volumina als im Vorjahreszeitraum.
Nach Angaben des Automobilverbandes kommt die Diversifizierung der Exportmärkte voran. Noch verkauft die Branche mehr als 80 Prozent ihrer Auslieferungen im EU-Raum. 2011 sind die Umsätze der tschechischen Fahrzeug- und Teilehersteller außerhalb Europas um ein Drittel gestiegen. Das sei ein gutes Signal, weil dort das Wachstumspotenzial viel größer sei, sagte SAP-Präsident Martin Jahn.
Probleme bei TPCA
Die drei großen Hersteller im Land haben ihre Kapazitäten zuletzt deutlich erweitert und dabei auch in die Komponentenfertigung investiert. So will Volkswagen im Betrieb Vrchlabí (Hohenelbe) ab Ende des Jahres sein Doppelkupplungsgetriebe DQ200 fertigen lassen. In Mladá Boleslav wird die Motoren- und Getriebefertigung erweitert, inklusive Entwicklungs- und Prüfzentrum.
Erheblich erweitert hat auch Hyundai seine Fertigungskapazitäten und dürfte damit zunächst gewappnet sein für neue Nachfrageschübe. Im Frühsommer hatte Hyundai außerdem sein zweites Getriebewerk in Betrieb genommen, in das 70 Millionen Euro investiert wurden.
Das TPCA-Werk in Kolín hat starke Auslastungsprobleme, weil die traditionellen Absatzmärkte in West- und Südeuropa tief in der Krise stecken. In der gemeinsamen Fabrik von Toyota und PSA Peugeot Citroën könnten jährlich bis zu 340.000 Autos montiert werden. Für 2012 ist jedoch nur eine Produktion von 221.000 Pkw geplant. Das wäre ein Fünftel weniger als im Jahr zuvor.
Interesse aus Fernost
Im Gleichschritt mit den Autofabriken entwickelt sich die Zulieferbranche sehr gut. Im Jahr 2011 waren nach Informationen des Industrieministeriums über 1.400 Unternehmen in der Kfz-Industrie tätig. Sie beschäftigten 152.000 Arbeitnehmer und damit 12.000 mehr als ein Jahr zuvor.
Im Frühjahr 2012 hat die IAC Group in ihrem alten Werk bei Pilsen eine neue Produktion von Kunststoffkomponenten gestartet. Für knapp 6 Millionen Euro wurden dort Einspritzpressen installiert, um Vorprodukte für Türverkleidungen zu fertigen.
Das US-Unternehmen TI Automotive hat ein Werk in Liberec eröffnet, in dem sowohl Kraftstoffeinfüllrohre aus Kunststoff für VW, Škoda und Audi als auch Tanksysteme für das TPCA-Werk und Škoda gefertigt werden sollen. Liberec ist der vierte Standort von TI Automotive in Tschechien.
Nach der Übernahme durch die chinesische CQLT konnte die tschechische Tochter der insolvent gegangenen Saargummi 2011 wieder Rekordumsätze verzeichnen. Der Automobilzulieferer produziert Türdichtungen vor allem für Škoda und Volkswagen.
Überhaupt zeigen chinesische Firmen verstärktes Interesse an tschechischen Automobilzulieferern. Nach Medienberichten sollen in den vergangenen zwölf Monaten mindestens fünf Teilehersteller an Firmen aus dem Reich der Mitte gegangen sein. In eine eigene Produktion von Kunststoffteilen hat die chinesische Yapp Automotive Parts in Mladá Boleslav 10 Millionen Euro investiert. Den größten Anteil am Grundkapital der Autoindustrie haben laut Verband SAP aber deutsche Unternehmen mit 31 Prozent vor südkoreanischen (19 Prozent), tschechischen und japanischen (jeweils 12 Prozent).
Der starke Anstieg der Produktion machte 2011 enorme Investitionen in der Automobilindustrie notwendig. Laut Berechnungen des Industrie- und Handelsministeriums stiegen die Kapitalausgaben für langlebige Vermögensgüter gegenüber dem Vorjahr um fast 40 Prozent auf 36 Milliarden Kronen (1,46 Milliarden Euro).
Bei den drei großen Herstellern flacht die große Investitionswelle 2012 aber zunächst ab. Sie haben ihre Kapazitäten deutlich erweitert, die Modellpalette modernisiert und die Fertigungstiefe erhöht.
Neue Investitionen
Dynamischer als in den Autofabriken ist das Investitionsverhalten der Zulieferindustrie. Die nach wie vor sehr positive Entwicklung der Fahrzeugproduktion lockt immer noch neue Komponentenhersteller an. Der Hersteller von Autolautsprechern, Sonavox, plant in Valašské Meziříčí ein Produktionswerk mit 250 Arbeitsplätzen. Die Bauarbeiten sollen im Herbst beginnen.
Die italienische Brembo will die Produktion von Aluminium-Scheibenbremsen deutlich ausbauen. Bis 2013 ist eine Erweiterung der Kapazitäten von 1,5 Millionen auf 2,4 Millionen Einheiten vorgesehen. Ihr Engagement verstärkt auch die Stuttgarter Unternehmensgruppe Behr. Das Werk Ostrava wird zum Produktionszentrum für Standard-Kühlkomponenten ausgebaut. Einen Produktionsstandort für Kfz-Klimatechnik erschließt Behr in Ostrov bei Karlovy Vary.
Laut Zeitungsberichten hat die Weinheimer Unternehmensgruppe Freudenberg ebenfalls Interesse an neuen Investitionen in Tschechien. Demnach wolle der Automobilzulieferer im ostböhmischen Chrudim eine Fabrik für Dichtungsringe und Teile aus gehärtetem Gummi eröffnen.
Der österreichische Kabelhersteller Gebauer & Griller will sein Werk im mährischen Mikulov erweitern, sodass sich die Jahreskapazität von 7,5 Millionen auf 10 Millionen Kabelsätze erhöhen wird.
Einen neuen Anlauf startet der Technologiekonzern Hitachi in der Industriezone Triangle bei Žatec (Kreis Ústí nad Labem). Dort hatten die Japaner bis 2009 bereits LCD-Bildschirme gefertigt, die Produktion dann aber eingestellt. Nun soll die Fabrikhalle für die Herstellung von Stoßdämpfern umgerüstet werden. In dem Gewerbegebiet haben sich schon Panattoni (Fertigung von Kunststoffteilen für Armaturenbretter) und Gestamp (Aluminium-Pressteile) angesiedelt.
Deutschland Nr. 1
Die Signale für den tschechischen Kfz-Außenhandel stehen auch 2012 auf Grün. In den ersten fünf Monaten stieg das Wertvolumen der Einfuhren an Kfz-Teilen um fast 18 Prozent. Solange der Boom der Fahrzeugproduktion anhält, werden auch die Importe zulegen. Wichtigstes Lieferland für Komponenten war 2011 Deutschland mit einem Anteil von 40 Prozent am Importvolumen und einem Gesamtwert von fast 2,8 Milliarden Euro. Dahinter folgen Polen mit 11 Prozent und Südkorea mit 9 Prozent.
Tschechien erzielt bei Kfz-Teilen einen erheblichen Außenhandelsüberschuss. Den Einfuhren von 6,9 Milliarden Euro stehen Exporte von 9,3 Milliarden Euro gegenüber. Deutschland ist mit einem Anteil von 43 Prozent zugleich auch der wichtigste Abnehmer für Autoteile aus Tschechien. Dahinter folgen Frankreich und die Slowakei mit jeweils rund
8 Prozent.
Bekenntnis zu Břeclav
Drastische Maßnahmen