Vom Prinzip des Ideals
Werke des belgischen Symbolisten Jean Delville im Haus zur Steinernen Glocke
27. 5. 2015 - Text: Sophie KohoutekText: Sophie Kohoutek; Foto: Galerie hlávního města Praha
Der 1867 in Flandern geborene Jean Delville vertrat die Meinung, Malerei solle eine höhere spirituelle Wahrheit ausdrücken und auf dem Prinzip des platonischen Idealismus basieren. Der Künstler war nicht nur bedeutender Vertreter des Symbolismus, sondern auch eine führende Persönlichkeit an der Spitze der neo-idealistischen Strömung in seiner Heimat. Trotz seiner einflussreichen Stellung innerhalb der Bewegung des „Fin de Siècle“ in Europa ist die Schau der Galerie der Hauptstadt Prag erst die zweite Solo-Ausstellung von Delvilles Œuvre überhaupt und die erste dieser Art außerhalb Belgiens.
Delville wirkte auch als Dichter, Essayist, Okkultist und Theosoph. Seine Gemälde oszillieren stets zwischen Schatten und Licht, zwischen dem Leid der Menschen und ihrer seelischen Erleuchtung. Als Inspiration dienten ihm unter anderem Richard Wagners „Parsifal“ und „Tristan und Isolde“ sowie Texte von Edgar Allan Poe und Maurice Maeterlinck oder Dantes „Göttliche Komödie“.
Manche der Exponate scheinen wie geschaffen für die mittelalterlichen Räumlichkeiten des Hauses zur Steinernen Glocke. Die Schau wurde auf zwei Stockwerken in neun thematische Abschnitte unterteilt und zeigt den erstaunlich breiten Schaffensrahmen des Künstlers. Eine seiner bedeutendsten Arbeiten war die Gestaltung eines Saales des Justizpalastes in Brüssel. Die Malereien wurden durch einen Brand während des Zweiten Weltkrieges zerstört. In der Prager Schau sind vorbereitende Studien zu dieser verloren gegangenen „Gerechtigkeit durch die Jahrhunderte“ zu bestaunen. Mit schwarzer Kreide auf Karton bildete Delville „Die Moderne Gerechtigkeit“ ab. Eine düstere männliche Gestalt sitzt lässig auf einem Thron, überworfen mit einem Tuch, das die Augen verdeckt. Zu seinen Füßen kauert nackt ein angeketteter Mann, dessen Leid nur aus seiner Rückansicht erahnt werden kann. Mit drohender und gleichgültiger Gebärde wird ihm ein Schwert auf den Rücken gerichtet.
Einen Kontrast dazu bilden Delvilles verträumte Naturabbildungen wie zum Beispiel „Landschaft im Mondlicht“. Der Erdtrabant scheint durch eine Baumgruppe hindurch, er erleuchtet eine Gestalt in weißem Gewand, die auf einer Wiese dem Lichtstrahl entgegenblickt. Diese Ölmalerei auf Leinwand beweist im Verhältnis von Licht und Schatten große Präzision und entführt den Betrachter regelrecht in die geheimnisvolle Bildwelt des Künstlers.
Die Ausstellung der Stadtgalerie ermöglicht den Zugang zum vielseitigen Werk eines außerhalb Belgiens kaum bekannten Multitalents. Mit Hilfe von Zitaten und biographischen Erläuterungen können die Besucher neben den Exponaten auch den Menschen hinter dem Künstler kennenlernen. Ergänzend sind auch Gemälde tschechischer Symbolisten ausgestellt, die sich problemlos in die Schau einfügen.
Jean Delville (1867–1953).
Dům U Kameného zvonu (Staroměstské náměstí 13, Prag 1), geöffnet: täglich außer montags 10 bis 20 Uhr, Eintritt: 120 CZK (ermäßigt 60 CZK), bis 30. August
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