Eishockey

Von München nach Chicago

Von München nach Chicago

Spätestens seit Olympia ist Dominik Kahun ein Eishockeystar in Deutschland. Nun wechselt er in die NHL, die beste Liga der Welt. Geboren wurde Kahun im tschechischen Planá bei Marienbad

28. 4. 2018 - Text: Klaus Hanisch

Bei ihm in der Familie hat niemand aktiv Eishockey gespielt. Wenn Dominik Kahun dies erzählt, wundert er sich offenbar immer selbst ein wenig darüber, wie rasant seine Karriere gerade verläuft. Zumal er stets im gleichen Atemzug betont, dass sein Sport in Tschechien ja den gleichen Stellenwert besitzt wie Fußball in Deutschland. „Meine Eltern haben mich aber sofort aufs Eis geschickt“, schiebt der 22-Jährige dann nach. „Und es hat mir von der ersten Minute an riesigen Spaß gemacht.“

So viel Freude, dass der kleine Dominik bald eine eigene Ausrüstung bekam. Spätestens jetzt kommt die Anekdote mit dem Eishockey-Helm ins Spiel, den er sogar im Bett trug. „Ich habe ihn zum Geburtstag bekommen und wollte ihn gar nicht mehr absetzen“, blickt er gerne zurück, „also habe ich damit auch geschlafen.“

Dominik Kahun wurde in Planá geboren, zehn Kilometer südlich von Mariánské Lázně (Marienbad). Zum internationalen Eishockey-Star reifte er jedoch in den vergangenen Jahren beim EHC Red Bull München in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). Nach sieben teils dramatischen Playoff-Partien gegen die Eisbären Berlin wurde Kahun vor wenigen Tagen mit dem EHC wieder Deutscher Meister, zum dritten Mal nacheinander.

Nun hat er offiziell bestätigt, was seit Mitte März von deutschen Medien bereits als Gerücht gehandelt wurde: Dominik Kahun wechselt in die NHL. In der nächsten Saison geht er für die Chicago Blackhawks auf Torejagd. „Ich bin sehr stolz meinen ersten NHL-Vertrag unterschrieben zu haben“, schrieb Kahun dazu selbst auf Instagram. „Ich möchte mich bei meiner Familie, Freundin, meinen Mitspielern und Trainer bedanken. Ohne eure Hilfe wäre ich nicht so weit gekommen.“

Kahun unterschreibt den Vertrag der Chicago Blackhaws  | © Dominik Kahun, Instagram

Dabei zeigte noch vor vier Jahren kein einziger Verein „drüben“ Interesse an ihm. Bereits von 2012 bis 2014 spielte Kahun in der Ontario Hockey League bei den Sudbury Wolves und nahm als Junior an einem Sichtungscamp teil. Doch er fiel durch. Der 1,78 große und 79 Kilogramm schwere Angreifer erschien den Klubs zu schmächtig und zu klein.

„Ich muss nicht unbedingt der Stärkste sein“, bemerkt Kahun heute im Rückblick knapp dazu. Viel wichtiger sei, dass er seine technischen Fähigkeiten nicht verliere. „Das Spiel verändert sich, auch in der NHL spielen immer öfter kleinere Spieler.“ Und schließlich „habe ich kürzlich bei Olympia ja nachgewiesen, dass ich mich auch gegen größere Jungs durchsetzen kann.“

Tatsächlich glückte ihm bei den Olympischen Spielen in Südkorea vor wenigen Wochen der entscheidende Karrieresprung. Nicht nur unter deutschen Eishockey-Fans wird längst gefragt: „Wo warst du am 25. Februar 2018, als das deutsche Eishockey-Wunder so nah war?“ Mehr als drei Millionen Zuschauer erlebten an jenem Morgen ab 5 Uhr an deutschen Bildschirmen das dramatische Finale der Olympischen Spiele zwischen Deutschland und Russland mit. Und damit, dass der deutschen Mannschaft nur 55 Sekunden fehlten, um Olympia-Gold zu gewinnen. Doch Silber gab es für das deutsche Eishockey zuvor auch noch nie.

Ein „Goldjunge“ stand für Deutschland trotzdem auf dem Eis: Dominik Kahun. „Er hat ein absolut überragendes Turnier gespielt und ist für mich einer der besten Stürmer bei Olympia gewesen“, attestierte ihm nachher Christian Ehrhoff, einer der erfolgreichsten deutschen Eishockeyspieler mit mehr als 800 Partien in der NHL und deutscher Fahnenträger bei der Schlussfeier in Südkorea. Auch für professionelle Beobachter war Kahun bei Olympia der wertvollste Spieler im deutschen Kader. Nicht zuletzt, weil er der beste Skater in der Mannschaft sei und dies extrem trainiere, wie TV-Kommentatoren immer wieder betonten.

Im spannenden Viertelfinale gegen den amtierenden Weltmeister Schweden wurde daher spekuliert, dass gerade Kahun die Partie mit einer Einzelleistung entscheiden könnte, als es in die Verlängerung ging. Gegen die Skandinavier erzielte er das Tor zur 3:1-Führung und auch im Endspiel gegen die Russen traf er zum zwischenzeitlichen 2:2. Dazu gelangen dem Mittelstürmer in Südkorea drei Assists bei sieben Einsätzen – danach sollen sich Scouts aus Europa und vor allem Übersee die Klinke bei ihm beziehungsweise bei seinen Interessenvertretern in die Hand gegeben haben.

 | © Dominik Kahun - Instagram

Schon Mitte März berichteten deutsche Medien, dass Kahun in der nächsten Saison in der nordamerikanischen NHL spielen werde, der besten Liga der Welt. Unter zehn Klubs mit entsprechenden Angeboten habe sich die „Firma Kahun“ für die Chicago Blackhawks entschieden. Ein Zwei-Jahres-Vertrag soll ihm jährlich 760.000 Euro einbringen, wohl das Dreifache seines derzeitigen Gehalts beim EHC Red Bull in München.

Bis vor wenigen Tagen wollte manch professioneller Beobachter allerdings nicht ausschließen, dass er auch in die russische KHL wechseln könnte. Ebenfalls eine bärenstarke Liga, in der viele russische Olympiasieger von Südkorea spielen. „Anrufe gab es schon“, bestätigte Kahun nach Olympia lediglich, wollte davon in den letzten Wochen jedoch nichts wissen. Er lasse seinen Agenten diese Arbeit machen und konzentriere sich auf die deutschen Endspiele, erklärte die Nummer 21 der Münchner lediglich. Allerdings verschwieg er nicht, dass die NHL schon immer „mein großer Traum war und ich alles dafür geben werde, dass es klappt.“

Seit den Olympischen Spielen seien seine Chancen dafür „größer geworden“, vermutete er selbst. Wohl im Wissen um den jetzt bestätigten Vertrag mit Chicago. Und vollkommen zu Recht. „Er ist ein Weltklassespieler, der in jeder Liga spielen kann“, flocht ihm Franz Reindl, Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), gleich nach der Finalniederlage in Südkorea einen Lorbeerkranz. Auch der Bundestrainer schlug Lobeshymnen an. „Ich bin mir sicher, dass er es in der NHL packen würde“, sagte Marco Sturm. Er muss es wissen, immerhin bestritt Sturm über 1.000 Partien in Nordamerika. Kahun habe einen enormen Schritt nach vorne gemacht und sei viel stabiler und reifer geworden, schob der erfolgreiche Coach als Begründung nach.

Er mache sich darüber „nicht so den Kopf“, wiegelte Kahun während der Playoffs ab, sondern spiele einfach sein Spiel. Ob die dritte Meisterfeier seine letzte war, wurde der Stürmer nach dem entscheidenden Sieg gegen Berlin gefragt. „Kann sein, ja, kann sein“, antwortete Kahun bereits vielsagend auf dem Eis, mit einem riesigen Weißbier und einer Zigarre in der Hand. Trotz der Geringschätzung bei den Drafts behielt er seine Jahre in Kanada positiv im Gedächtnis. „Es war eine super Erfahrung für mich, wir waren Helden in der Stadt“, erinnert er sich. Genauso wichtig: Danach besaß kein nordamerikanischer Klub Transferrechte an ihm. Kahun konnte daher mit jedem Interessenten frei verhandeln – und seine Forderungen stellen.

Dominik Kahun mit Mutter, Freundin und Meisterpokal  | © Dominik Kahun - Instagram

Dominik Kahun stand in der Eishalle von Marienbad erstmals auf Kufen, angeleitet von Vater Pavel, der lange als Kellner in einem Gasthaus im niederbayerischen Regen arbeitete. Nach der Scheidung seiner Eltern zog der Fünfjährige mit Mutter Lenka in die Oberpfalz, spielte im Nachwuchs des EV Weiden und danach eine Saison lang beim HC Pilsen 1929. Schon damals erkannten Beobachter, dass sich Dominik Kahun deutlich besser auf Schlittschuhen bewegen und viel mehr mit seinem Schläger anfangen konnte als die meisten Altersgenossen.

Zudem entschied er viele Spiele allein, weil er Treffer auf Treffer erzielte. Genau wie ein tschechischer Torjäger: Superstar Jaromír Jágr. „Der tschechische Franz Beckenbauer“, wie Kahun zuweilen launig bemerkt. Jágr ist ein Vorbild für Kahun. Aber auch auf die Superstars Sidney Crosby von den Pittsburgh Penguins und Connor McDavid von den Edmonton Oilers hat er sicher ein Auge geworfen. Auf den russischen Eishockey-Star Ilja Kowaltschuk, der 2001 als erster Russe der Beste bei den NHL-Drafts war, traf er bereits im Olympia-Finale. Allesamt Stürmer wie Kahun, der Center des EHC Red Bull München mit linker Schlaghand.

Nachdem der gebürtige Tscheche dank seines enormen Talents und überdurchschnittlichen Potenzials sichtbar zu Höherem berufen war, kam er 2008 ins Mannheimer Eishockey-Internat. Bei den Jungadlern wurde er zu einem Topscorer, gemeinsam mit dem gleichaltrigen Leon Draisaitl mischte Kahun die höchste deutsche Nachwuchsliga auf. Seitdem gelten beide als die größten Talente im deutschen Eishockey. Draisaitl spielt bereits in der NHL und erhielt im letzten August einen mit 68 Millionen Dollar dotierten Achtjahresvertrag bei den Edmonton Oilers. „Mega-Kontrakt“, kommentierte Kahun damals kurz und richtig.

Seine eigene Karriere nahm nach einer Zwischenstation beim SC Riessersee in München ab 2015 Fahrt auf. „Ich habe den Drang, immer der Beste zu sein“, nennt er als seine Devise, „ich bin mit mir nie zufrieden.“ Dies unterstrich Kahun in der DEL, wo er so viele Punkte anhäufte wie kein Spieler in seinem Alter. Für den EHC lief Kahun in der DEL und der CHL insgesamt 223 Mal auf, erzielte dabei 52 Tore und bereitete weitere 108 vor. Kreativ wie kein anderer deutscher Spieler sei er, loben Kritiker. Dazu seine lange Scheibenführung und seine Verteilung der Pucks. Und: Wie elegant er sich auf dem Eis bewegt, dass er oft Verantwortung übernimmt, diese genialen Solo-Aktionen – Experten kommen aus dem Schwärmen nicht heraus, wenn sie die Vorzüge von Dominik Kahun aufzählen.

Bei Olympia war er an fast jeder deutschen Chance beteiligt. Als den deutschen Spielern auf dem Eis die Silbermedaillen umgehängt wurden, zeigte Kahun trotz der Niederlage bereits wieder sein jungenhaftes Sonnyboy-Lachen. „Warum auch nicht?“, meinte er später, „ich bin stolz auf diese Medaille, die nimmt mir nun keiner mehr.“ Was zudem noch gilt: „Ich habe ein Tor im Olympia-Finale geschossen.“ Davon habe er nicht mal als kleiner Junge geträumt, gab Kahun damals zu Protokoll.

Dafür erfüllt sich nun ein anderer Traum: der Sprung unter die besten Spieler der Welt in die NHL.