Von Rašín zu Kosárek
Bekannte Orte, weniger bekannte Namen: Nach wem die Uferabschnitte im Zentrum benannt sind
13. 1. 2016 - Text: Marcus Hundt
Jeder ausländische Tourist, der einmal Prag besucht hat, ist sicher schon an der Moldau entlang gegangen. Schließlich kommt er gar nicht daran vorbei, wenn er vom Altstädter Ring zum Hradschin will. Doch nach wem die einzelnen Uferabschnitte im Stadtzentrum benannt sind, wissen wohl nur wenige.
Auf der rechten Flussseite – zwischen dem Tanzenden Haus und der Juristischen Fakultät – heißen sie Masarykovo nábřeží, Smetanovo nábřeží oder Dvořákovo nábřeží. Benannt nach den weltbekannten Komponisten Antonín Dvořák und Bedřich Smetana sowie dem ersten Präsidenten der Tschechoslowakei Tomáš Garrigue Masaryk. Auf der anderen Seite der Moldau findet man mit dem Janáček-Ufer (Janáčkovo nábřeží) einen weiteren Abschnitt, der den Namen eines tschechischen Komponisten trägt. Auch dass Edvard Beneš der Nachfolger Masaryks im Präsidentenamt war, der Malostranské nábřeží (Tschechisch-Kenntnisse vorausgesetzt) nach der Kleinseite benannt ist und Hořejší nabřeží „Oberes Ufer“ bedeutet, liegt für viele auf der Hand. Doch weiß ein ausländischer Prag-Besucher auch, wer Kapitän Jaroš war oder wer oder was sich hinter den Bezeichnungen „Rašínovo nábřeží“ oder „Rohanské nábřeží“ verbirgt? Wohl kaum.
Rašínovo nábřeží
Der Uferabschnitt zwischen Vyšehrad und Tanzendem Haus ist wohl der schönste der Stadt und erinnert an manchen Sommerabenden an eine Partymeile. Seit 1990 trägt er den Namen Rašín-Ufer – in kommunistischer Zeit war er nach Friedrich Engels (1951–1990), ein Teil davon während der deutschen Besatzung nach Reinhard Heydrich (1942–1945) benannt. Der Wirtschaftswissenschaftler Alois Rašín war der erste Finanzminister der 1918 gegründeten Tschechoslowakischen Republik. Nach seiner Abwahl im Juli 1919 bekleidete er dieses Amt ab Oktober 1922 erneut, doch nicht für lange. Im Februar 1923 fiel er einem Attentat zum Opfer. Der damals 19-jährige Kommunist Josef Soupal feuerte zwei Schüsse auf den Mann ab, der unter anderem das erste Gesetz des neuen Staates verfasst hatte. Sechs Wochen später erlag Rašín seiner Verletzung. Die Bevölkerung reagierte bestürzt auf den Tod. Rašín hatte die Republik mit ausgerufen, sich mit seiner Deflationspolitik aber auch Feinde gemacht.
Alšovo nábreží
Wo früher Reisebusse parkten und den Blick auf die Prager Burg versperrten, flanieren heute Touristen. Benannt ist das Ufer am Rudolfinum nach Mikoláš Aleš, und das schon seit 1919 (zuvor trug es den Namen von Kronprinz Rudolf, dem einzigen Sohn des österreichischen Kaisers Joseph I.). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte Aleš in seiner Heimat zu den bedeutendsten Künstlern. 1879 gewann der Maler den Wettbewerb zur Ausschmückung des Nationaltheaters. Im Vordergrund seiner Arbeiten stand die Liebe zum böhmischen Volk und seiner Geschichte. Zahlreiche Sammlungen von Volksliedern und Märchen sind von Aleš illustriert worden. Viele seiner Fresken finden sich an Hauswänden in Prag, Pilsen und anderen böhmischen Städten.
Nábřeží Ludvíka Svobody
Dass Ludvík Svoboda von 1968 bis 1975 Präsident der Tschechoslowakei war, hat ihm wohl nicht die Ehre eingebracht, dem Moldau-Ufer zwischen Štefáník- und Hlávka-Brücke seinen Namen zu geben. Zwar weigerte er sich nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten; sein Widerstand gegen die Politik der Normalisierung ließ jedoch bald nach und er trat gegenüber Parteichef Gustav Husák in den Hintergrund. Seinen Platz in der Geschichte hatte Svoboda, Jahrgang 1895, sich da aber bereits gesichert. Während der Besatzung durch die Nationalsozialisten hatte er sich der tschechischen Widerstandsbewegung angeschlossen, war in die Sowjetunion geflohen und ab 1941 Befehlshaber des ersten tschechoslowakischen Bataillons, das sich in Busuluk am Ural formierte und auf sowjetischer Seite kämpfte. Im März 1943 führte Svoboda seine Landsleute in der Schlacht um Sokolowo an, ebenso bei der Befreiung von Kiew im November desselben Jahres. Die nach ihm benannte Svoboda-Armee, eine tschechische Brigade innerhalb der Roten Armee, überschritt während der Schlacht am Duklapass im Herbst 1944 als erster Verband die tschechoslowakische Staatsgrenze, danach agierte sie zusammen mit tschechoslowakischen Partisanen bei der Befreiung des Landes und der Vertreibung der Deutschen.
Nábřeží Kapitána Jaroše
Dass der gegenüberliegende Uferabschnitt den Namen Nábřeží Kapitána Jaroše trägt, dürfte kein Zufall sein. Denn wer sich unter Kapitän Jaroš den bärtigen Kommandant eines Schiffes vorstellt, der gemütlich die Moldau hinauf schippert, liegt falsch. Otakar Jaroš, geboren 1912 im nordböhmischen Louny (Laun), war ein tschechoslowakischer Offizier. Nach dem Münchner Abkommen arbeitete er kurz als Postbeamter, bevor er im August 1939 über Polen in die Sowjetunion floh und sich dort der Svoboda-Armee anschloss. Am 8. März 1943 fiel der Offizier in der Schlacht um Sokolowo (Schlacht bei Charkow). Zwei Monate später wurde er posthum zum Hauptmann (tschechisch „kapitán“) befördert. Eine wohl noch größere Ehre wurde ihm bereits wenige Tage nach seinem Tod zuteil: Am 17. März 1943 erhielt Otakar Jaroš als erster Ausländer die höchste sowjetische Auszeichnung „Held der Sowjetunion“. In der Tschechoslowakei wurde dem Hauptmann später der Orden des Weißen Löwen verliehen. In Mělník, wo Jaroš seine Kindheit verbrachte, erinnert ein Denkmal an ihn.
Rohanské nábřeží
Wer denkt, das Rohan-Ufer hat etwas mit dem gleichnamigen Königreich aus „Herr der Ringe“ zu tun, hat nicht ganz unrecht. Tolkien benannte das Land in Mittelerde nach dem nordfranzösischen Adelsgeschlecht Rohan, dem wiederum auch der Uferabschnitt im Stadtteil Karlín seinen Namen zu verdanken hat. Ende des 18. Jahrhunderts war Jules Hercule Mériadec de Rohan (1726–1800) in Konkurs gegangen. Seine Familie emigrierte daraufhin nach Österreich. Auf dem Wiener Kongress wurde Charles Alain de Rohan, dem Enkel des Bankrotteurs, der Titel eines Duc de Bouillon zugesprochen. In den Folgejahren kaufte dieser unter anderem die nordböhmischen Herrschaften Svijany, Turnov, Český Dub und Sychrov. An den Einfluss der österreichischen Rohan-Linie erinnert heute noch der Rohanstein (Rohanský kámen) auf dem Ještěd bei Liberec, der die Grenze zu den Besitztümern des Hauses Clam-Gallas markierte.
Kosárkovo nábřeží
Das Kosárek-Ufer zwischen der Mánes- und der Čech-Brücke trägt erst seit 1961 den Namen des böhmischen Landschaftsmalers. Zahlreiche Werke von Adolf Kosárek (1830–1859) sind in der Nationalgalerie Prag ausgestellt. Im Alter von nur 29 Jahren verstarb der an Tuberkulose erkrankte Maler im unweit des Ufers gelegenen Haus „Zum schwarzen Lamm“ in der Waldstein-Straße (Valdštejnská 8). Auf einer dort angebrachten Gedenktafel heißt es: „In diesem Hause starb am 29. Oktober 1859 Adolf Kosárek, der Vorläufer der tschechischen realistischen Landschaftsmalerei“. Am Kosárek-Ufer befindet sich unter anderem die Straka-Akademie, seit 1993 Sitz der tschechischen Regierung.
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