Wer war eigentlich Jiří Orten?
Prager Orte und ihre Namen: Ein „Dichter von ganzem Herzen“ und Opfer des Naziregimes in Holešovice
17. 2. 2016 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: Stefan Welzel
Nur 22 Jahre und zwei Tage wurde der tschechische Schriftsteller alt, nach dem seit 1991 der Ortenovo náměstí im Stadtteil Holešovice benannt ist. Den Platz prägt die Masaryk-Grundschule, die von einem Park umgeben ist. Sein Namensgeber Jiří Orten wird 1919 in Kutná Hora (Kuttenberg) als Sohn einer jüdischen Familie geboren. Um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entkommen, emigrieren einige seiner Familienangehörigen und Freunde nach England – darunter Pavel Tigrid, Schriftsteller, Journalist und tschechischer Kulturminister von 1994 bis 1996.
Jiří Orten bleibt, weil er die tschechische Sprache als seine Heimat betrachtet. Sein Schauspielstudium am staatlichen Konservatorium in Prag muss er 1940 wegen seiner jüdischen Herkunft abbrechen; seine Gedichte kann er nur noch unter einem Pseudonym veröffentlichen. In den Elegien, die Orten noch kurz vor seinem Tod zusammenstellt, spiegeln sich das Leiden und die Not eines jungen Juden wider, der der Brutalität des Naziregimes ausgesetzt ist. Seine Klagelieder sprechen von Gottverlassenheit und der Sinnlosigkeit menschlichen Lebens: „Wir müssen nicht mehr an die Kindheit denken,/ da heftiger die Flamme unsrer Wehmut brannte,/ im Leben ist nicht Welt noch Liebe/ noch Sterne, Himmel, Wachstum, Mutter, Vaterland,/ allein im Tod.“ Nur die Poesie kann ihn aufrichten. Sie allein verfügt für Orten über die Kraft, dem Tod zu trotzen. „Ich möchte von ganzem Herzen ein Dichter sein. Von ganzem Herzen, und noch mehr: Ich möchte für die Poesie sterben“, schreibt er 1939.
Am 30. August 1941, seinem 22. Geburtstag, wird der Schriftsteller von einem Rot-Kreuz-Wagen der Wehrmacht angefahren. Weil er Jude ist, weigert sich das Allgemeine Krankenhaus, ihn aufzunehmen. Zwei Tage später stirbt er. Das kommunistische Regime verbietet 1948 die Publikation seiner Werke. Trotz seines frühen Todes hat Orten ein herausragendes lyrisches Werk hinterlassen, das manche mit der Dichtung von Jaroslav Seifert und Jan Skácel vergleichen. Seit 1993 finden in Kutná Hora jährlich die Orten-Festspiele statt. Seit 1987 werden junge Autoren mit dem Jiří-Orten-Preis ausgezeichnet. Zu den Preisträgern gehören unter anderem Michal Viewegh und Jaroslav Rudiš.
„Wie 1938“
30 Jahre PZ