Wer war eigentlich Petr Bezruč?
Prager Orte und ihre Namen: Ein „überbewerteter Schriftsteller“ in Vinohrady
24. 2. 2016 - Text: Friedrich Goedeking, Foto: Schlesisches Museum Troppau, CC BY-SA 3.0
Hohe Bäume, Grünflächen, ein Spielplatz und ein Restaurant mit großer Terrasse laden rund um den Bezruč-Park (Bezručovy sady) zum Entspannen ein. Welch ein Kontrast zum Namensgeber der Anlage im Stadtteil Vinohrady: Petr Bezruč war ein Autor, der seinen Zorn und seine Empörung herausschrie gegen die Besitzer der Kohlegruben in Ostrava, gegen die adligen Großgrundbesitzer in Mährisch-Schlesien, gegen Deutsche, Polen und Juden. Er war ein anarchistischer Rebell und erhob seine Stimme für die Arbeiter, die in den Bergwerken unter unmenschlichen Bedingungen schufteten.
Geboren 1867 als Vladimír Vašek in Opava (Troppau), nannte er sich später Bezruč (etwa: „ohne Arm“), weil er bei einem Steinschlag einen Arm verloren hatte. Er schrieb damals: „Weiß Gott, entsetzlich bin ich./ Wie einer Leiche Stank wittert’s vor mir her,/ auf Händen, auf Füßen zerplatzt mir das Fleisch./ Dicht blitzen die Augen, wie Weißglut mich treffend,/ mich fasste der Wind, meinen Blutmantel treffend,/ fest in der Rechten des Bergmannes Hammer,/ ein Kohlenklotz schlug mir die Linke vom Leibe,/ die Stichflamme biss mir das Aug’ aus der Höhlung.“
Seine ersten Gedichte erschienen 1899 in der Zeitschrift „Čas“. Wenige Jahre später wurden sie unter dem Titel „Schlesische Lieder“ publiziert. Bezruč studierte einige Semester in Prag, wurde dann Postbeamter in Místek (heute Frýdek-Místek) bei Ostrava. Auf dem Höhepunkt der Industrialisierung sah er sich mit der Ausbeutung der Bergarbeiter und der Kleinbauern in Mährisch-Schlesien konfrontiert. Er protestierte gegen die Deutschen, die seiner Ansicht nach immer schon als Unterdrücker das Land geknechtet hätten und nun die Germanisierung der Schulen betrieben. Er prangerte die Polonisierung der katholisch-tschechischen Kirche an. Vor allem zielte sein Hass auf die Juden ab: Als Schnapsbrenner, Schankwirte und Wucherer richteten sie das tschechische Volk zugrunde, glaubte er.
Dennoch waren es ausgerechnet zwei jüdische Autoren, Rudolf Fuchs und Franz Werfel, die 1916 die „Schlesischen Lieder“ ins Deutsche übersetzten und so dazu beitrugen, dass das Werk von Bezruč über die Grenzen Böhmens und Mährens hinaus bekannt wurde. Bezruč war für sie ein Anwalt der Unterdrückten. Werfel bekannte: „Unser Herz fühlt connational mit allen Unterdrückten aller Völker.“ Später verehrten die Kommunisten Bezruč als Ikone. Die „Schlesischen Lieder“ waren Pflichtlektüre in den Schulen. Es hält sich jedoch auch die These, dass sie nicht von Bezruč stammen, sondern von seinem Freund und Dichter Ondřej Boleslav Petr (1853–1893).
Bis heute sind zahlreiche Plätze und Straßen in Tschechien nach dem einarmigen Schriftsteller aus Opava benannt. Im Dezember vergangenen Jahres lehnte die Denkmalbehörde für den Kreis Olomouc es jedoch ab, das Haus bei Prostějov zu renovieren, in dem Bezruč bis zu seinem Tod im Jahr 1958 gewohnt hatte. Die Begründung lautete, der Schriftsteller sei in der Vergangenheit überbewertet worden. Das finden mittlerweile offenbar auch die Vertreter des zweiten Prager Bezirks, die Ende 2015 vorschlugen, einen Teil des Bezruč-Parks umzubenennen. Er soll künftig nach den Čapek-Brüdern heißen.
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