Wie im Krieg
Ein Rostocker erinnert sich an seinen Aufenthalt in Prag im Sommer 1968 – an Flugzeuglärm und heranrollende Panzer, aber auch an eine alte Freundschaft
19. 8. 2018 - Text: Henning Baudler, Titelfoto: Věra Petráková
Im Sommer 1968, ich war damals 21, reiste ich mit meiner Schwester von Rostock an den Balaton in Ungarn. Unser erster Zwischenstopp galt Prag – einer Stadt, die ich bereits bei meinem Besuch als Abiturient in mein Herz geschlossen hatte.
Am 26. Juli begann unsere Reise. In Prag, so unsere Planung, wollten wir einige Tage bleiben und in einem Studentenwohnheim übernachten. Am Bahnhof fragten wir daher nach der Straßenbahnlinie nach Strahov und kamen so mit Stanislav Bendar [vermutlich lautet sein Nachname Bednář, Anm. d. Red.] ins Gespräch.
Stanislav bot uns sogar an, nach unser Rückkehr aus Ungarn bei ihm zu übernachten. Während unseres Aufenthaltes in Prag sahen wir auf dem Altstädter Ring und in Strahov friedliche Bürger, die für einen anderen Sozialismus demonstrierten. Das erschloss uns einen völlig neuen Blickwinkel und Ansatz zum Umdenken. Schließlich zeichneten die Medien in der DDR ein ganz anderes Bild von der Reformbewegung – sowohl vor als auch nach dem 21. August.
Nach unserer Rückkehr aus Ungarn am 20. August wohnten wir bei Familie Bendar in Prag. Am darauffolgenden Morgen wurden wir vom dröhnenden Lärm von Flugzeugen geweckt. Der Himmel färbte sich durch die Vielzahl der Maschinen ganz schwarz. Stanislav sagte uns, die Russen seien in die Tschechoslowakei einmaschiert. Am Wenzelsplatz seien russische Panzer aufgefahren, dort werde auch geschossen. Das Gefühl, das uns beschlich und für Gänsehaut sorgte, kannten wir bisher nur aus Kriegsfilmen und den Erzählungen unserer Eltern über ihre Kriegserlebnisse. Es fehlten nur der Alarm der Luftschutzsirenen, die den Anflug feindlicher Flugzeugstaffeln ankündigten und das „Bellen“ der Flakgeschütze, die den Luftraum schützen sollten. In Gedanken befürchteten wir die Detonation von Bomben.
Nur widerwillig wollte uns Stanislav zum Wenzelsplatz lassen. Er fühlte sich für unsere Sicherheit verantwortlich. Beruhigt war er erst, als wir uns von einem Prager Vorortbahnhof in Richtung Deutschland aufmachten. Vom Hauptbahnhof fuhr kein Zug mehr ab. Wir waren froh, dass wir während unserer Fahrt durch die Tschechoslowakei keinen deutschen Besatzungstruppen begegneten. Sie standen aber angriffsbereit an der Grenze.
Die deutsch-tschechoslowakische Grenze mussten wir zu Fuß überqueren. In Gedanken zogen wir einen Vergleich zu den Vertriebenentrecks aus ihrer Heimat im Jahr 1945.
Sommerfrische in der Steiermark
Mediale Grenzgänger