Wie vor 100 Jahren

Wie vor 100 Jahren

Nach aufwendigem Umbau erstrahlt die Maisel-Synagoge in neuem Glanz

8. 7. 2015 - Text: Franziska Neudert, Foto: Prague City Tourism

Wer heute durch die Maiselgasse läuft und bei Nummer zehn haltmacht, der mag sich wie in einer Märchenkulisse fühlen. Die frisch renovierte Maisel-Synagoge sieht aus wie ein Schloss aus dem Baukasten. Spuren ihrer wechselvollen Geschichte lassen sich von außen nicht erkennen. In der vergangenen Woche öffnete die Synagoge nach über einem Jahr ihre Tore erstmals wieder für Besucher. Die Fassade des Gotteshauses wurde während der Renovierung in den Zustand versetzt, den sie während des neugotischen Umbaus vor 100 Jahren erhalten hatte. Im Inneren wurde die Dauerausstellung modernisiert. Sie beleuchtet die Geschichte der Juden in Böhmen und Mähren von der Besiedelung im 10. bis zur Aufklärung im 18. Jahrhundert.

Insgesamt drei Jahre dauerte es, bis die neue Schau und der Umbau der Synagoge fertiggestellt wurden. An die hundert Wissenschaftler aus dem In- und Ausland seien daran beteiligt gewesen, sagt Alexandr Putík. Der Prager Historiker arbeitete unter anderem an den Texten, die dem Besucher die Geschichte näherbringen. „Außerdem wollen wir eine Publikation zur Ausstellung herausgeben. Und abends soll es kulturelle Veranstaltungen in der Synagoge geben“, so Putík. Im Unterschied zur vorherigen Dauerausstellung sind interaktive Elemente hinzugekommen. Sie sollen den Besucher stärker einbeziehen, damit er die Geschichte erleben kann.

Das Herzstück bildet der siebenminütige Film „Flug über das Judenviertel“, der im Mittelschiff der Synagoge gezeigt wird. Der Kurzfilm basiert auf dem Modell der Prager Innenstadt, das der Lithograf und Bibliothekar Antonín Langweil Anfang des 19. Jahrhunderts anfertigte. Der Betrachter blickt zunächst aus der Vogelperspektive auf die Stadt, dann taucht er ein in das Geflecht verwinkelter Gassen, das einst das Bild des magischen Prag heraufbeschwor. Von diesem Labyrinth ist nicht viel geblieben – zwischen 1893 und 1914 verschwand es im Zuge der Assanierung des Judenviertels.

Mystik und Buchdruck
Entsprechend der Leserichtung im Hebräischen geht der Besucher von rechts nach links durch die Ausstellung. In acht thematischen Etappen durchläuft er Geschichte und Leben der jüdischen Gemeinde. Eine Schautafel versetzt ihn zurück ins 10. Jahrhundert, als sich jüdische Siedler aus dem Rheinland nahe der Prager Burg niederließen. Bilder und historische Karten veranschaulichen die Siedlungsgeschichte. Der nächste Blick fällt auf das jüdische Weißbuch, eine Schriftensammlung, die Schulden- und Vermögensfragen umfasst. Der erste Eintrag stammt vom 21. Juli 1581: Rabbi Loew. Der Erschaffer des sagenhaften Golem erwarb ein Haus, das er mit seiner Frau, seinem Sohn und dessen Gattin beziehen wollte. Damit wird ein weiteres Kapitel in der Ausstellung aufgeschlagen: der soziale Status der Juden vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Einen enormen Einschnitt bedeutete beispielsweise der zwischen 1726 und 1848 geltende Erlass, der nur dem ältesten Sohn einer jüdischen Familie erlaubte zu heiraten.

Weitere Kapitel widmen sich jüdischen Bräuchen, der mystischen Tradition der Kabbalah und bedeutenden Gelehrten. Nicht fehlen darf Mordechaj Maisel (1528–1601), der zur Zeit Rudolfs II. als reichster Mann der Stadt galt. Der Hofbankier und Vorsteher der jüdischen Gemeinde finanzierte den Bau der nach ihm benannten Synagoge, die von 1590 bis 1592 im Renaissance-Stil errichtet wurde. Für die folgenden 100 Jahre sollte sie das größte und beeindruckendste Bauwerk der Judenstadt sein, das zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens wurde.

Ein Exemplar des Buches Ester aus dem 18. Jahrhundert führt in den Abschnitt über das Druckwesen ein. Die erste hebräische Druckerpresse nördlich der Alpen nahm im Jahr 1512 ihren Betrieb auf. Auch in Brünn, Prostějov und Mikulov wurden hebräische Bücher gedruckt. Zu den besonders kunstvollen Exemplaren gehören die Prager Haggadah von 1536 und die „chamischa chumsche tora“, wie die Tora im Judentum genannt wird, aus dem Jahr 1518. Beide sind in einem Schaukasten zu sehen.

Dunkle Kapitel
Im Mittelschiff durchläuft der Besucher das Goldene Zeitalter unter Kaiser Rudolf II., der den nicht katholischen Ständen Religionsfreiheit gewährte. Darauf folgen im linken Seitenschiff Informationen über Alltag und gesellschaftliches Leben der jüdischen Gemeinde mitsamt den dunklen Kapiteln Diskriminierung und Unterdrückung sowie dem Fall des Šimon Abeles. Der Zwölfjährige starb 1694, kurz nachdem er beschlossen hatte, zum Christentum überzutreten. Die Ausstellung endet mit der jüdischen Emanzipation unter Joseph II.

Weniger präsent ist die Geschichte der Synagoge selbst. Das ursprünglich prächtige Gebäude brannte 1689 ab. Zwei Jahre darauf wurde es im Barockstil wieder aufgebaut, allerdings verkleinert und mit einem Tonnengewölbe versehen. Die Seitenschiffe erhielten Emporen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Synagoge ein weiteres Mal umgebaut. Ihr heutiges Erscheinungsbild geht auf den Architekten Alfred Grotte zurück, der das Gotteshaus 1895 bis 1905 neugotisch umgestaltete. Jüdische Gottesdienste wurden laut Putík zum letzten Mal in den dreißiger Jahren in der Maisel-Synagoge abgehalten. Während des Zweiten Weltkriegs nutzten die Nationalsozialisten das Gebäude als Depot für konfisziertes jüdisches Eigentum. Seit 1955 wird es vom Jüdischen Museum verwaltet.

Maisel-Synagoge (Maiselova 10, Prag 1), geöffnet: 29. März bis 25. Oktober täglich außer Samstag 10–18 Uhr, 1. Januar bis 27. März und 27. Oktober bis 31. Dezember täglich außer Samstag 9–16.30 Uhr, Eintritt: 300 CZK, www.jewishmuseum.cz