Wilde Privatisierung vor Gericht
In der Schweiz wird einer der größten Korruptionsfälle Tschechiens verhandelt: Der Verkauf der Kohlegesellschaft Most
16. 5. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: stockmonkeys.com
Es geht um eines der größten Wirtschaftsverbrechen der tschechischen Nachwendezeit. Die Schweizer Staatsanwaltschaft beschuldigt sechs Tschechen und einen Belgier, sich bei der Privatisierung der Kohlegesellschaft Most (Mostecká uhelná společnost, MÚS) vierer Delikte schuldig gemacht zu haben: Korruption, Betrug, Urkundenfälschung und das Waschen von Schwarzgeldern. Den Staat sollen sie um Milliarden gebracht haben. Nach sechs Jahren Ermittlungsarbeit, die die tschechische Justiz so lange verzögert hatte, bis der Staat sein Recht auf die Auszahlung der veruntreuten Gelder verwirkt hatte, begann an diesem Montag der Gerichtsprozess im Schweizerischen Bellinzona. Den Angeklagten drohen bis zu 10 Jahre Gefängnis.
Die tschechischen Medien blicken mit Argusaugen auf die Verhandlungen am eidgenössischen Bundesstrafgericht. Die Privatisierung der MÚS gilt als Paradebeispiel der sogenannten wilden Privatisierung, bei der die Staatskasse unter Duldung der Politiker um Milliarden geschröpft worden sein soll. Nach Angaben des Tschechischen Fernsehens war Ende Februar auch Miloš Zeman (SPOZ) zum Verhör geladen – der Verkauf von MÚS fällt in seine Amtszeit als Regierungschef. Der jetzige Präsident stritt bei der Befragung ab, dass der Staat finanziell geschädigt worden sei.
Die einstigen Manager der Kohlegesellschaft sollen den Staatsbetrieb laut Anklageschrift mit Geldern gekauft haben, die sie zuvor aus dem Firmenfonds zur Behebung von Umweltschäden abgeführt hatten. Zudem hätten sie regierende Politiker davon überzeugt, ihnen die Aktien des Unternehmens für nur knapp ein Sechstel des tatsächlichen Wertes zu verkaufen. Zum lukrativen Geschäft sollen damals Schmiergelder in Millionenhöhe verholfen haben, die angeblich bei den Politikern der damals von Zeman geführten Regierungspartei ČSSD landeten.
Wie das Urteil des Bundesstrafgerichts ausfällt, ist im Moment nicht abzusehen. Derzeit werden in Bellinzano die Zeugen verhört. Im Moment geht es dabei um etwa 14 Milliarden Kronen (etwa 540 Millionen Euro), die auf Schweizer Konten sichergestellt werden konnten. Laut Medienberichten wird der Schaden am tschechischen Staat auf etwa das Doppelte beziffert. Zum ersten Verhandlungstag waren nur vier Angeklagte erschienen, weshalb der Richter beschloss, den Prozess auf zwei Verfahren aufzuteilen.
Im Fall MÚS wurde in Tschechien bereits zweimal ermittelt – ohne Ergebnis.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“