„Wir dachten, die Party wird nie zu Ende gehen“
Der bekannteste Künstler Tschechiens David Černý über Miloš Zeman, die wilden Neunziger in Prag und was ihm heilig ist
24. 4. 2013 - Interview: Klaudia Hanisch
In der Gesprächsreihe „20 Jahre Tschechien – Eine Inventur“ lässt die „Prager Zeitung“ herausragende Meinungsführer Bilanz ziehen. Wo steht Tschechien 20 Jahre nach der Staatsgründung? Diesmal traf sich PZ-Mitarbeiterin Klaudia Hanisch zum Wortwechsel mit dem Künstler und Enfant Terrible David Černý.
Ist für Sie irgendetwas heilig, was Sie in Ihrer Kunst nie in den Dreck ziehen würden?
Černý: Sowas wie die Todesstrafe oder Schwangerschaftsabbrüche?
Oder Ihre Mutter…
Černý: (denkt nach) Am ehesten das traditionelle Verständnis von Wahrheit und Lüge.
Sie sind als Provokateur bekannt. Genießen Sie diese Rolle?
Černý: Ich sah Sachen, die abstrakt waren und wollte sie auf meine Weise übersetzen. Das wurde dann als Provokation empfunden.
Und die geplante Penis-Fontäne als Kommentar zur Situation im tschechischen Parlament?
Černý: Die Penis-Fontäne war einfach ein herrlicher Witz. Ein schönes Beispiel dafür, wie man Medien manipulieren kann. Jemand sagt irgendeinen Blödsinn und schon drucken es die Journalisten und es wird überall herumerzählt.
Sind Künstler heute zu Managern und Selbstvermarktern geworden?
Černý: Einige.
Ich nehme an, dass auch Sie Beziehungen zur Politik und der Wirtschaft pflegen.
Černý: Das ist hier wie ein Dorf. Man muss sich einfach kennen. Ich würde aber ungern über mich sagen, dass ich ständig im Kontakt mit Politikern bin.
Gibt es für Sie unter Politikern Autoritäten?
Černý: Autoritäten nicht. Aber es gibt ein paar Leute, bei denen ich mich nicht dafür schämen muss, wenn ich sie treffe oder mit ihnen zusammen fotografiert werde. (lacht)
Im Präsidentschaftswahlkampf haben Sie Karel Schwarzenberg unterstützt. Sie haben den berühmten Button mit dem Irokesen-Schwarzenberg entworfen. Denken Sie heute immer noch, dass das eine gute Idee war?
Černý: Am Anfang war das eine schöne Story. Fast ein Märchen. Aber letztendlich endete es wie ein Horrorfilm.
Weil ein Linker die Wahl gewonnen hat?
Černý: Weil ein Mensch gewonnen hat, der lügt, der immer gelogen hat. Zeman ist ein Repräsentant der grässlichsten, ekelhaftesten politischen Praktiker-Sorte. Diese Menschen waren hier schon vor zehn Jahren an der Macht. Betrachtet man intellektuelle Strömungen, ist Westeuropa vielleicht stärker links geprägt. Bei Wahlen wird jedoch eher rechts gewählt. Hier wirken immer noch 40 Jahre Kommunismus nach.
Im Westen sind die Künstler ein typisch linkes Milieu. Wie würden Sie sich politisch einordnen?
Černý: Sicherlich nicht links. Am ehesten als Liberaler oder so was ähnliches. Aber ODS wähle ich nicht, ich habe sie nie gewählt. Die Begriffe sind sowieso verschwommen. Keiner weiß, was so richtig Sache ist. Ich gebe immer ein Beispiel: Hierzulande schreien die Rechtsextremisten „Tschechien, Tschechien“ und auf der anderen Seite huldigen sie auch den deutschen nationalsozialistischen Ideen. Dass beides irgendwie nicht zusammenpasst, spielt für sie keine Rolle.
Außer der personellen Fragen, was ärgert Sie in Tschechien am meisten?
Černý: Die Unfähigkeit, sich an manche Sachen zu erinnern. Oder anders gesagt – die Fähigkeit des schnellen Vergessens. 20 Jahre nach dem Ende des Kommunismus sagen 60 Prozent in einer Umfrage, dass es im Kommunismus besser war. Vor 20 Jahren hätte ich das nicht für möglich gehalten.
Was macht Sie als Künstler so erfolgreich?
Černý: Das ist interessant, dass Sie das so sehen, aber da gehen die Meinungen stark auseinander. Populär, erfolgreich und berühmt – das sind Begriffe, die man oft vermischt, aber die etwas ganz anderes zur Sprache bringen. Populär ist etwa Karel Gott, berühmt ist eine Frau, weil sie eine Affäre mit dem Unternehmer Josef Kokta hatte. Das ist sogar zu mir vorgedrungen. Ornella Štiková heißt sie, glaube ich. Erfolgreich ist Karel Janeček (Mathematiker, Unternehmer und politischer Aktivist – Anm. d. Red.). Auch Petr Zelenka ist erfolgreich, genauso wie die Regisseure Honza Hřebejk und Honza Svěrák.
Sind Sie selbst populär, berühmt oder erfolgreich?
Černý: Ich weiß nicht. Ich würde mich zwischen populär… Obwohl, nein, das ist schon fast eine Beleidigung. Ich kann das selbst über mich nicht sagen.
Schauen Sie generell eher optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft?
Černý: Ich versuche, ein Realist zu bleiben.
Wo sieht ein Realist Tschechien in zehn Jahren?
Černý: Wir reiten uns gerade wirklich in die Scheiße rein. An die Europäische Union habe ich mal geglaubt und etwas davon ist immer noch geblieben. Ich glaube, dass sie die einzige Chance ist, dass wir doch nicht so enden, wie ich es gerade prophezeit habe.
Sie sind gerade emotional geworden. Sind Sie ein Patriot?
Černý: Ein Patriot bin ich nicht. Ich fühle mich mehr als Prager denn als Tscheche. Der Rest von Tschechien oder gar Mähren ist mir egal. So wie die Leute dort bei den Präsidentschaftswahlen gewählt haben, können sie mir gestohlen bleiben. Vielleicht sollten wir noch eine Teilung der Republik in Angriff nehmen. (lacht)
In den neunziger Jahren haben Sie der Zeitschrift „Revolver“ ein längeres Interview gegeben, in dem Sie über Ihre Zeit in den USA gesprochen haben. Man hat das Gefühl, Sie waren dort nicht sonderlich glücklich.
Černý: Ich war gar nicht unglücklich, aber zu dieser Zeit bin ich viel hin und her gereist. Und dann merkte ich, dass in Prag mehr los ist als in New York. Im Jahr 1987 gab es einen Börsenkrach in den USA. In der Kultur setzen die Auswirkungen einer ökonomischen Krise erst viel später ein. Als ich dort war, wurden immer noch Galerien geschlossen. Und in Prag gab es eine Riesenparty.
Wie war Prag in den Neunzigern?
Černý: Es gab zwei Seiten der Medaille. Wir dachten in den ersten fünf Jahren nach der Samtenen Revolution, dass die berauschende Party nie enden wird. Auf der anderen Seite hat eine Gruppe von Karrieristen die Chance ergriffen, Kapital herauszuschlagen. Ich habe damals die Party genossen. Zwar habe ich auch viel gearbeitet, aber ich habe nicht daran gedacht, was in zehn Jahren werden sollte. Es gab genug Menschen, die wussten, dass die Party irgendwann vorbei sein wird. Sie haben damals von der Demontage des Staates enorm profitiert. Es bildeten sich mafiöse Strukturen heraus. Das war die andere Seite der Medaille der großen Party. Vielleicht ging das nicht anders.
Bei Ihnen klingt alles nach einem sich wiederholenden Zyklus. In welcher Phase des Zyklus sind wir jetzt?
Černý: Das Wirtschaftswachstum war damals gewaltig. Phasenweise waren es um die acht Prozent. Die Nebenwirkung war Korruption, mit der wir uns immer noch herumschlagen. Im Moment ist das Wachstum abgeflaut. Aber im Gegensatz zu Ungarn oder Bulgarien verspüren wir die Auswirkungen der weltweiten Krise noch nicht. Zudem kommt es gerade zu einem Generationenwechsel. Die jungen Menschen sind viel aktiver als ihre Eltern. Das Wahlergebnis von Schwarzenberg kann sich dank ihnen wirklich noch sehen lassen. Ich glaube, wir sind jetzt in der Phase der Reflexion.
Zur Person
David Černý, geboren in Prag, ist 45 Jahre alt. In den 90er Jahren lebte er einige Jahre in New York. Mehrere seiner Skulpturen wie „Freud“ am Altstädter Ring oder „Babies“ am Fernsehturm und auf der Insel Kampa prägen heute das Stadtbild Prags. 2001 eröffnete er das Kulturzentrum „MeetFactory“, in dem eine Galerie, ein Theater, ein Konzertsaal und Künstlerateliers vereint sind. Mit dem Projekt „Entropa“ anlässlich der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft löste Černý eine Kontroverse und laute Proteste von Diplomaten aus. Spätestens seitdem gilt er als „Enfant Terrible“ der tschechischen Kunstszene. Beim Präsidentschaftswahlkampf unterstützte Černý Karel Schwarzenberg und designte ihm einen Button mit der Inschrift „Karel for President“.
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