„Wir haben den Normalzustand erreicht“
Wirtschaftswissenschaftler Filip Pertold zum europäischen Problem der Jugendarbeitslosigkeit, das sich auch in Tschechien einschleicht
17. 7. 2013 - Interview: Martin Nejezchleba
Filip Pertold ist Arbeitsmarktexperte beim Thinktank für Wirtschaftsanalysen IDEA. Im europäischen Quotenvergleich ist Tschechien geradezu ein Musterschüler, was die Beschäftigung junger Leute betrifft. Dass das für einen Staat mit einer Jugendarbeitslosigkeit von knapp 20 Prozent gilt, ist bezeichnend für die Arbeitsmarktkrise in der EU. Und Pertold ist sich sicher, auch in Tschechien wird sich die Situation noch zuspitzen. Nach dem Warum fragte PZ-Redakteur Martin Nejezchleba.
Herr Pertold, die Jugendarbeitslosenquote ist inzwischen auch in Tschechien auf knapp 20 Prozent angestiegen, woran liegt das?
Filip Pertold: Die Absolventen weisen offenbar eine andere Struktur an Bildung und Können auf, als sie der Markt verlangt. Und das wird sich weiter verschlimmern. Bis 2009 etwa hatten die tschechischen Absolventen einen sehr guten Stand auf dem Arbeitsmarkt. Das hängt mit dem postsozialistischen Wandel der tschechischen Wirtschaft zusammen. Es sind viele neue Fachbereiche entstanden: Technische und wirtschaftliche Branchen, Finanzwesen, Rechtsberatung, IT. Die älteren Generationen auf dem Arbeitsmarkt waren darauf nicht vorbereitet, keiner hat sie darin geschult. Die Absolventen konnten diese Marktlücke füllen. Der Vorteil, den die jungen Absolventen hatten, schwindet natürlich. Man kann sagen, dass wir im Vergleich zu den entwickelten Industrieländern nun den Normalzustand erreicht haben.
Normalzustand? In Deutschland beträgt die Jugendarbeitslosigkeit im Moment etwa 7,5 Prozent. Wo ist da der Unterschied?
Pertold: Deutschland ist in Westeuropa eine Ausnahme. Es hat große Arbeitsmarktreformen hinter sich, die es einfacher gemacht haben, Arbeitnehmer anzuheuern und wieder zu entlassen. Die Kosten von gering qualifizierter Arbeit wurden gesenkt, die Regelungen zur Arbeitszeitbeschränkung gelockert. Auch entspricht die Struktur der deutschen Wirtschaft dem, was der Boom in Asien fordert. Deutschland ist also wirklich in einer relativ guten Situation. In fast allen anderen Ländern ist es schlechter um die Beschäftigung junger Menschen bestellt, und da müssen wir nicht einmal in die Krisenstaaten blicken.
Mit dem Beginn der Wirtschaftskrise 2008 hat sich die Anzahl arbeitsloser Jugendlicher verdoppelt. Gibt es da einen Zusammenhang?
Pertold: Verdoppelt hat sich die Quote, weil die Unternehmen aufgehört haben einzustellen. Die Firmen müssen dabei gar nicht in große finanzielle Not geraten, es reicht wenn sie mit einem Gefühl der Unsicherheit in die Zukunft blicken. Dann hören sie auf einzustellen. Logischerweise leiden diejenigen als erste darunter, die neu auf den Arbeitsmarkt kommen.
Gibt es wirklich einen Mangel an Arbeitsplätzen? Immerhin beschweren sich einige Firmen, dass sie nicht die richtigen Leute für ihre freien Stellen finden können…
Pertold: Das Problem kann zweierlei Formen haben: Zum einen kann es sein, dass es nicht genügend freie Arbeiter gibt, die die entsprechende Bildungsstruktur aufweisen. Das zweite Problem, über das hier nicht viel gesprochen wird, ist aber entscheidend: Die Firmen sind nicht bereit, die Leute gebührend zu bezahlen.
Sie sprechen von falscher Bildungsstruktur. Heißt das, die Ausbildung verläuft falsch?
Pertold: Das weiß niemand. In Tschechien wissen wir kaum etwas über die Qualität der Fachoberschulen und Berufsschulen. Das ist schwer zu messen, schon weil es sich um fachlich sehr unterschiedliche Schulen handelt. Allerdings bemüht sich der Staat nicht im Geringsten darum zu erfahren, was dort mit den Schülern passiert und ob sie, statt dort etwas dazuzulernen, nicht vielleicht sogar Dinge verlernen und ob der Unterricht die Fähigkeiten vermittelt, die der Arbeitsmarkt verlangt. Uns fehlt eine grundlegende Analyse. Jetzt ist es dafür aber schon etwas zu spät.
Die EU ebenso wie das tschechische Arbeitsministerium bieten finanzielle Unterstützung für Firmen, die Stellen für Absolventen schaffen. In Tschechien können bis zu 24.000 Kronen fließen. Halten Sie das für sinnvoll?
Pertold: Ich würde einen solchen Schritt fast schon als populistisch bezeichnen. Und ob das einen positiven Effekt hat, das wage ich nicht abzuschätzen. Ich bin aber eher pessimistisch. Sobald etwas von der Entscheidung von Beamten abhängt, ist es auch administrativ sehr aufwendig.
Welche Veränderungen schlagen Sie vor?
Pertold: Ich würde mir systematische Reaktionen wünschen, die langfristig die Lohnnebenkosten senken. Hier ist einfach die Abgabenlast auf Seiten der Arbeitgeber viel zu hoch. Die Absolventen leiden am meisten, weil sie zunächst die niedrigste Produktivität aufweisen. Sie müssen angelernt werden. Der Preis der Arbeit von Angestellten ist geradezu absurd hoch. Da gibt es einen riesigen Unterschied zu den Abgaben von Selbständigen. Das ist eine sehr schädliche Regelung für unsere Wirtschaft. Die Situation der Absolventen auf dem Markt erleichtert das auch nicht, denn sie sind zu jung und unerfahren, um selbständig zu werden. Den größten Anteil der Lohnnebenkosten bilden die Sozialversicherungsbeiträge, die man herabsetzen könnte. Natürlich muss man dann woanders erhöhen. Die Besteuerung von Selbständigen bietet sich an. Es ist einfach nicht richtig, dass die effektive Besteuerung bei Angestellten im Schnitt bei 36 Prozent liegt, während Selbständige gerade einmal 23 Prozent abführen.
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