„Wir haben die meisten Hausbibliotheken“
Für Literaturwissenschaftler Jiří Trávníček gibt es keinen Grund zur Sorge um Leseverdrossenheit
19. 12. 2013 - Text: Adem Ferizaj
Jiří Trávníček ist stellvertretender Direktor am Institut für tschechische Literatur der Akademie der Wissenschaften. Seit 2007 leitet er das Forschungsprojekt über das Leseverhalten seiner Landsleute. Mit PZ-Mitarbeiter Adem Ferizaj sprach der 53-Jährige über den tschechischen Durchschnittsleser, Lesegewohnheiten und welche Autoren in Tschechien am beliebtesten sind.
Was ergibt sich aus Ihren Studien über den tschechischen Durchschnittsleser?
Jiří Trávníček: Ich würde sagen, der tschechische Leser ist im Durchschnitt weiblich, hat einen Mittelschulabschluss und liest überwiegend Populärliteratur.
Welche Bücher und Autoren sind besonders beliebt?
Trávníček: Michal Viewegh ist der meistgelesene Autor in Tschechien. In unseren letzten drei Studien landete er stets auf dem ersten Platz. Er ist quasi ein Star für die mittlere Generation. Dan Brown ist ebenfalls sehr beliebt. Als das populärste Buch behauptet sich seit drei Jahren „The Egg and I“ von Matthie MacDonald. Und auch Božena Němcovás Roman „Babička“ wird nach wie vor äußerst gern gelesen.
In tschechischen Haushalten befinden sich durchschnittlich 250 Bücher. Welche Rolle spielt denn die hauseigene Bibliothek für das Leseverhalten?
Trávníček: Die Tradition der hauseigenen Bibliothek hat vor allem für meine Generation und die meiner Eltern eine wichtige Rolle gespielt. So sammelte sich in den Haushalten über mehrere Generationen ein relativ großer Buchbestand an. Im Übrigen haben die Tschechen im europäischen Vergleich die umfangreichsten Hausbibliotheken, 89 Prozent verfügen über eine solche. Darauf kann man schon ein bisschen stolz sein.
Inwiefern unterscheidet sich das Leseverhalten der Tschechen von dem der anderen Europäer?
Trávníček: Zunächst gibt es ein relativ großes Gefälle zwischen männlichem und weiblichem Leser. Generell lesen die tschechischen Frauen mehr. Diese Diskrepanz ist im restlichen Europa eher ungewöhnlich. Außerdem ist die Anzahl der lesenden Senioren in Tschechien relativ hoch. Im Vergleich zu Deutschland fällt auf, dass man hierzulande in den Städten ebenso viel liest wie auf dem Land. Dagegen lesen die deutschen Großstadtbewohner weit mehr als ihre Mitbürger auf dem Lande.
Welche Tendenzen erwarten Sie in Ihren künftigen Studien?
Trávníček: Die Tschechen werden weiterhin viel lesen. Diesbezüglich gibt es wahrscheinlich keine Veränderungen. Ich gehe aber von einer weiteren Abnahme des Bücherkaufs und der Ausleihe in Bibliotheken aus. Weil die Leute zuhause schon recht viele Bücher besitzen, legen sie sich kaum neue zu.
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