„Wir setzen auf die Kraft der Argumente“
Exklusiv-Interview: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer über bayerisch-tschechische Themen und Probleme
18. 3. 2015 - Text: Klaus Hanisch, Foto: Vláda ČR
Die Zukunft der gemeinsamen Beziehungen, die Energiewende in Deutschland oder der Kampf gegen den grenzüberschreitenden Drogenhandel: Ausführlich nimmt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer in einem Exklusiv-Interview mit der „Prager Zeitung“ Stellung zu den wichtigsten Themen und Problemen, die seinen Freistaat und den tschechischen Nachbarn betreffen. Die Fragen stellte PZ-Autor Klaus Hanisch.
Herr Ministerpräsident, Sie engagieren sich so stark wie keiner Ihrer Vorgänger für eine gute Nachbarschaft mit Tschechien. Selbst in Ihrer Ansprache zum Jahr 2015 gingen Sie gleich zu Beginn darauf ein. Warum ist Ihnen das Verhältnis zwischen Bayern und Tschechien so wichtig?
Horst Seehofer: Bayern und Tschechien haben eine gemeinsame Grenze. Und mein Ziel ist, dass eben nicht mehr gefragt wird, warum ich Tschechien als guten Nachbarn anspreche, sondern dass dies – wie mit Österreich und der Schweiz – als völlig normal empfunden wird. Heute ist das Verhältnis zu unseren tschechischen Nachbarn sehr gut und nachbarschaftlich. Das war angesichts der schweren historischen Bürde von Krieg und Vertreibung nicht immer so. Seit meinem Amtsantritt haben wir eine echte Kehrtwende in den bayerisch-tschechischen Beziehungen vollzogen. Das Eis ist geschmolzen, die Eröffnung der bayerischen Repräsentanz in Prag ist dafür das beste Beispiel. Als wahrhaft historisch und einen großen Schritt in Richtung Zukunft sehe ich auch den Verzicht der Sudetendeutschen auf Restitution und Entschädigung an. Das sind sehr gute Voraussetzungen für den Ausbau unseres freundschaftlichen Dialogs.
In den vergangenen vier Jahren haben Sie Prag viermal besucht. Wie groß ist nach Ihrem Eindruck umgekehrt das tschechische Interesse an einer tieferen Partnerschaft mit Bayern?
Seehofer: Die bayerisch-tschechischen Beziehungen sind von großem beiderseitigen Interesse getragen. Nehmen Sie beispielhaft die Besuche auf höchster Regierungsebene, die historisch zu nennende Rede des ehemaligen Premierministers Nečas im Bayerischen Landtag, den anstehenden Besuch von Premierminister Sobotka oder auch die gemeinsam konzipierte Landesausstellung über Karl IV., die ab Mai 2016 zuerst in Prag und dann in Nürnberg zu sehen sein wird. Alle meine tschechischen Gesprächspartner betonen, dass Bayern einer der wichtigsten Wirtschaftspartner für die Tschechische Republik ist, dass aber auch der kulturelle und wissenschaftliche Austausch eng und intensiv ist. Darauf wollen wir gemeinsam weiter aufbauen.
Muss die tschechische Regierung nicht vorrangig gute Beziehungen mit Berlin im Auge haben anstatt mit München oder dem zweiten deutschen Nachbarn Sachsen?
Seehofer: Das eine tun und das andere nicht lassen. Beziehungen zu Berlin und München schließen sich nicht aus, schließlich ist Deutschland ein Bundesstaat und föderal organisiert. Und ganz im Gegenteil: Ein gutes Verhältnis zu Bayern öffnet auch in Berlin Tür und Tor. Und gerade Bayern hat den gesunden Wettbewerb unter den Ländern noch niemals gescheut.
Bei Ihrem letzten Besuch im Dezember eröffneten Sie eine Repräsentanz des Freistaats Bayern in Prag. Dabei sprachen Sie von einem historisch bewegenden Augenblick. Welche Erwartungen haben Sie an die Arbeit dieser Einrichtung, welche Aufgaben soll sie vorrangig erfüllen?
Seehofer: Mein Wunsch ist, dass unser Haus in Prag die Menschen in Bayern und Tschechien näher zusammenbringt. Die Repräsentanz soll ein Schaufenster Bayerns sein, die informiert und Ansprechpartner ist für alle, die sich für Bayern interessieren oder gemeinsame Projekte planen. Wie ich höre, wird das Angebot bereits sehr gut angenommen.
Zum besseren Verständnis: Inwieweit ist die Arbeit dieser Vertretung mit einer Botschaft oder einem Konsulat vergleichbar?
Seehofer: Die klassische Außenpolitik und das Konsularwesen betreibt in Deutschland nur die Bundesregierung. Unser Ziel ist dagegen, die bayerisch-tschechische Nachbarschaft mit Leben zu erfüllen. Und dazu leisten wir mit unserer Repräsentanz einen guten Beitrag.
In Deutschland ist die Energiewende ein vorrangiges innenpolitisches Thema, Tschechien gewinnt dagegen seinen Strom zum großen Teil aus der Atomenergie und diskutierte in den letzten Jahren immer wieder über einen Ausbau seiner Kernkraftwerke. Wie sehr besorgen Sie diese Pläne?
Seehofer: Jeder Mitgliedstaat der EU trifft hier seine eigenen Entscheidungen, auch in Verantwortung für die Sicherheit. Wir wollen da niemand bevormunden. Für uns ist aber ganz klar: Die Energiewende in der Bundesrepublik ist unumkehrbar. Wir haben diese Entscheidung getroffen, weil wir davon überzeugt sind, dass das der bessere Weg zu einer sicheren und sauberen Energieversorgung der Menschen in Bayern und Deutschland ist. Wir setzen auf die Kraft der Argumente und darauf, dass eine gelungene Energiewende in Deutschland Vorbild auch für andere Staaten in Europa wird.
Tschechien ist bei der Aufnahme von Flüchtlingen sehr zurückhaltend. Erwarten Sie in dieser Hinsicht eine größere Kooperation, auch wenn der Nachbar flächenmäßig viel kleiner ist als Deutschland?
Seehofer: Wir erleben derzeit eine Flüchtlingswelle, die uns in Deutschland und Bayern vor große Herausforderungen stellt. Und nachdem derzeit weltweit über 50 Millionen Menschen auf der Flucht sind, haben wir die Spitze hier wohl noch lange nicht erreicht. Diese Dimensionen können wir national nicht bewältigen. Das ist eine Aufgabe für Europa! Bisher nehmen allerdings nur fünf der 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union 70 Prozent aller Flüchtlinge auf. Deshalb ist eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas nötig. Auch das ist eine Frage der europäischen Solidarität. Wollen wir die Akzeptanz der europäischen Idee nicht gefährden, müssen wir dafür Sorge tragen, dass einzelne Mitgliedsstaaten in Europa nicht über Gebühr belastet werden. Europäische Solidarität besteht nicht nur aus Finanzhilfen und darf keine Einbahnstraße werden!
Ihr Innenminister stellte Tschechien in Zusammenhang mit der Modedroge Crystal Speed in der Vergangenheit immer wieder an den Pranger und verlangte sowohl eine stärkere Bekämpfung der Labors dort wie auch eine schärfere Gesetzgebung bezüglich Drogen. Ist das auch bei Ihren Gesprächen mit Prag ein Thema?
Seehofer: Wir stellen niemanden an den Pranger, wir wollen Probleme lösen. Unser Innenminister hat meine volle Unterstützung, wenn er Probleme benennt und nach Lösungen sucht. Und die illegale Einfuhr von Drogen ist gerade im Grenzbereich zu einer großen Gefahr geworden. Bayern hat bereits im Jahr 2012 ein ganzes Maßnahmenbündel in Kraft gesetzt, um den illegalen Drogenhandel zu bekämpfen. Hier gibt es bereits eine gute bayerisch-tschechische Zusammenarbeit, die wir aber sicherlich noch intensivieren können.
Um beide Nachbarn stärker zusammenzubringen, sind bessere Zugverbindungen notwendig. In diesem Zusammenhang sprachen Sie von einer deutschen Bringschuld. Wie wird sie erfüllt?
Seehofer: Die Bahnverbindung zwischen München und Prag, wie sie derzeit besteht, ist indiskutabel. Für Bayern hat die Verbesserung der Bahnverbindung nach Tschechien höchste Priorität. Wir dringen deshalb auf eine schnelle Entscheidung des Bundes, der für den Ausbau zuständig ist.
Im Verhältnis zu Prag wählen Sie einen pragmatischen Kurs mit klarem Blick in die Zukunft. Fast alle Ihre Vorgänger hielten große Distanz zu Prag aus Rücksicht auf sudetendeutsche Wählerstimmen. Sind Ihnen diese Wähler mittlerweile weniger wichtig als gute Beziehungen zu Prag?
Seehofer: Als bayerischer Ministerpräsident steht für mich das Wohl Bayerns an erster Stelle. Und als Schirmherr der Sudetendeutschen liegen mir deren Anliegen natürlich sehr am Herzen. Aber mir geht es darum, die Zukunft zu gewinnen. Danach richte ich Handlungen und Entscheidungen aus, auch was die Beziehungen zu Tschechien anbelangt. Auch von den heimatvertriebenen Sudetendeutschen habe ich dafür viel Zuspruch erhalten. Der historisch zu nennende Verzicht der Sudetendeutschen auf Restitution und Entschädigung unterstreicht das deutlich. Ich bin mir absolut sicher, dass wir hier auf dem richtigen Weg zum Wohle für beide Seiten sind.
Die schwierige tschechische Sprache wird oft als Hemmnis dafür angesehen, dass sich Bürger aus Bayern und Tschechien besser kennenlernen. Aus dem Jugendbereich kam jüngst die Forderung, dass zumindest eine Schule jeder Schulart in jedem bayerischen Grenzlandkreis Tschechisch anbieten sollte. Ist das für Sie vorstellbar?
Seehofer: Ich bin überzeugt, dass viele Schulen gerade in Grenznähe erkennen, wie sehr die tschechische Sprache ihr Schulprofil bereichern kann. Neben grenzüberschreitenden Projekten und Schulpartnerschaften leistet auch der Schüleraustausch, an dem sich bayernweit jährlich über 4.600 junge Menschen beteiligen, einen großen Beitrag zur Verständigung zwischen den Jugendlichen. Die Sprache des Nachbarn zu sprechen, ist enorm wichtig für das gegenseitige Verständnis und das Zusammenwachsen im Zentrum Europas. Wir unterstützen das daher sehr nachdrücklich.
In diesem Jahr wird Ministerpräsident Bohuslav Sobotka vermutlich nach München reisen. Sein Vorgänger Petr Nečas hielt als erster tschechischer Regierungschef eine Rede im Bayerischen Landtag. Wird auch Sobotka diese Ehre zuteil?
Seehofer: Der Termin und das Besuchsprogramm werden derzeit erst abgestimmt. Das Rederecht steht im Ermessen des Landtags und nicht der Staatsregierung. Aber ich bin überzeugt, dass auch dieser Besuch ein voller Erfolg und weiterer wichtiger Baustein für unsere Beziehungen sein wird.
Ihnen wurde ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zu dem konservativen Regierungschef Nečas nachgesagt. Welchen Eindruck haben Sie vom Sozialdemokraten Sobotka, der seit etwas mehr als einem Jahr regiert?
Seehofer: Alle meine Begegnungen mit tschechischen Spitzenpolitikern habe ich als äußerst offen, respektvoll und freundschaftlich empfunden. In diesem Geist werde ich den bayerisch-tschechischen Dialog fortsetzen.
In Ihrer Neujahrsansprache sagten Sie, Bayern und Tschechien seien heute „Partner und Freunde“. Freunde können über vieles reden. Auch schon über die Beneš-Dekrete?
Seehofer: Es geht zwischen unseren Ländern um beides, die ehrliche und offene Beschäftigung mit der Vergangenheit und die Gestaltung der Zukunft. Aber die Vergangenheit darf uns nicht blockieren. Ich möchte die Zukunft gestalten. Dabei können wir auf vielem auf- und weiterbauen, was bereits erreicht wurde. Und ein guter gemeinsamer Weg in die Zukunft wird uns auch helfen, die offenen Fragen der Vergangenheit anzugehen.
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