Interview

„Wir sind alle Anfänger“

„Wir sind alle Anfänger“

Multimediakünstler Volker März eröffnet mit seinen Skulpturen neue Perspektiven

6. 11. 2013 - Interview: Franziska Neudert

Wer Volker März’ Ausstellung „Laughing Windows“ besucht, wird ein Schmunzeln kaum unterdrücken können. Bei aller Schwere, die seine Tonfiguren thematisch umkreisen, bleibt der Humor nicht aus. Hunderte farbiger Skulpturen bevölkern derzeit drei Etagen des Turms im Prager Kunstzentrum DOX. In Gestalt berühmter Persönlichkeiten wie Hannah Arendt, Pina Bausch, Franz Kafka und Friedrich Nietzsche spielen sie nahezu leichtfüßig mit menschlichen Ängsten, Dummheiten, Verbrechen und Tragödien. PZ-Redakteurin Franziska Neudert sprach mit dem 56-Jährigen über Kindsein, alltägliche Tabus und den Ansporn, die Welt zu verändern.

Herr März, Ihre Ausstellung trägt den Titel „Laughing Windows – Lachende Fenster“. Tatsächlich kann man sich ein Lachen kaum verkneifen, obwohl die Themen nicht gerade erheiternd sind. Was hat es mit dem Titel auf sich?

Volker März: Die Fenster sind für mich meine Figuren, durch die ich die Welt mit anderen Augen sehen kann. Es sind Fenster, die den Blick nicht vorschreiben, sondern eine neue Perspektive durch das Bestehende ermöglichen. Erst wenn man das Bestehende durchblickt, kann man es auch infrage stellen und andere, eigene Vorstellungen entwickeln. Gerade für die eigenen Gedanken, die sonst keiner denkt, sind diese Fenster wichtig. Gleichzeitig sind meine Figuren sehr ironisch. Ich weiß, dass die meisten, die meine Ausstellung besuchen, sich ziemlich amüsieren. Alle sind irgendwie am Lachen. Das Komische daran ist, dass dieses Lachen nicht nur lustig ist. Es verfügt auch über einen aggressiven Aspekt und funktioniert wie ein Korrektiv: Man lacht, der andere nimmt das wahr und ändert daraufhin sein Verhalten.

Ein zentrales Thema dieser Ausstellung ist die Kindheit und das Kindsein. Was bedeutet Kindsein für Sie?

März: Wenn Kinder geboren werden, haben sie eine unfassbare Entwicklung hinter sich: von einer Eizelle über neun Monate diese ganzen Stadien zu durchlaufen, und nach zwei, drei weiteren Jahren kommen noch Laufen und Reden dazu. Eine derart rasante Entwicklung durchlebt der Mensch später nicht mehr. Ein bisschen Schule, ein bisschen Denken – das ist es. Kindsein bedeutet für mich Menschsein. Du machst das, was du gerne machst. Später dann kommen die anderen und sagen: ,Nein, das ist nicht gut‘. Dann merkst du, du musst etwas anderes machen, um geliebt zu werden. Und da fängt die Strategie an. Du weißt genau, was du machen musst, um erfolgreich zu sein und geliebt zu werden. In dem Moment hat man das Paradies verlassen.

Wie kann man als Erwachsener dennnoch Kind sein?

März: Durch Schule und Bildung, diese ganzen vorgefundenen Mauern, wird uns ja quasi eine Gehirnwäsche verpasst. Deshalb sage ich ,Demo-crazy‘: Wir leben zwar in einer Demokratie, aber eigentlich auch in einem totalitären System, weil sich niemand diesen Ideen, dem Zeitdruck, dem Geld- und dem Schönheitsdruck, entziehen kann. Und Arbeit ist immer mit Geld verbunden. Dabei ist es eigentlich wichtig, dass man gerne macht, was man tut. Das hat wiederum etwas mit dem Kindsein zu tun, mit Lust, Liebe, Sehnsucht und Hoffnung. Und vielleicht auch mit dem Leiden, dass man in dem Vulkan, in dem man sich befindet, in dem Staatssystem, manchmal einfach nicht atmen kann. Darum muss man sich wieder an die Dinge erinnern, die man früher gern gemacht hat und wieder an diesen paradiesischen Zustand andocken.

Welche Möglichkeiten bringt das Kindsein für die heutige Gesellschaft mit sich?

März: Mit jeder Geburt kommt ja etwas Neues in die Welt. Bei Hannah Arendt heißt das Natalität: Jeder Mensch, der geboren wird, bringt neue Ideen mit sich und stellt gewissermaßen einen Neuanfang dar. Wir sind alle Anfänger. Dieser Gedanke ist auch eine Chance für die Politik. Das heißt, du kannst eigentlich jeden Tag, wenn du ins Büro gehst, alles über den Haufen werfen. Du kannst wieder Kind sein, die Sachen bejahen und das, was dir wichtig ist, irgendwie verändern.

Ein großer Teil der Ausstellung ist eigens für das DOX entstanden, wie kam diese Zusammenarbeit zustande?

März: Mit Leoš Válka, dem Direktor des DOX, hatte ich schon letztes Jahr für die Ausstellung „Middle East Europe“ zusammengearbeitet. Er war sehr begeistert von meiner Arbeit. Ich habe die Ausstellung in erster Linie für ihn und seine linke Hand Michaela Šilpochová gemacht. Manchmal hat das alles gar nichts mit Kunst zu tun, sondern mit Freundschaft und der gemeinsamen Lust, Wut und Liebe, die Welt zu verändern. Und das DOX ist ein wunderbarer Ort, um damit zu beginnen. Über dem Haus kreist nicht nur der rote Totenkopf von David Černý, sondern da kreisen auch ganz viele Visionen.

Sie malen, schreiben, fotografieren, schaffen Installationen, Skulpturen und Performances. Gibt es da eine Kunstform, die Ihnen am nächsten steht?

März: Nein, das ist eigentlich alles eins. Ich sage auch immer, dass ich kein Künstler bin und was ich tue, keine Kunst ist. Es ist mein Alltag und das, was mir Freude bereitet. Es gehört ja alles zum Leben dazu – jeder bewegt sich, jeder singt, jeder schreibt Briefe oder E-Mails. Im Grunde genommen mache ich das auch. Nur bringe ich es in eine andere Form und mache es öffentlich.

Für ein Projekt haben Sie vor einigen Jahren einen sogenannten „Eichmann-Raum/Banalität des Bösen“ konzipiert, wo in Zusammenhang mit einer Skulptur von Adolf Eichmann der Satz „Auschwitz ist menschlich“ an der Wand zu lesen sein sollte. Das löste damals einiges Entsetzen aus, die Ausstellung wurde abgesagt. Gibt es für Ihre Arbeit Tabus, die Sie nicht überschreiten würden?

März: Bei mir ist alles durch und durch human. Es geht mir immer um den Menschen. In die Tabus, die ich anspreche, bohre ich gerne Löcher – quasi als einen Weg, um durchzuschauen, wie durch ein Fenster. Kunst ist für mich ein Labor, wo das erlaubt ist. Damit tue ich eigentlich keinem weh. Das Seltsame ist ja, dass diese furchtbaren Sachen tatsächlich passieren. Diese Tabus, die da gebrochen werden, finden alltäglich, hinter jedem Fenster statt. Der Gesellschaft dann die Decke wegzuziehen, das finde ich toll.

Was sollte Kunst heute leisten beziehungsweise was wollen Sie mit dem Blick durch Ihre „Lachenden Fenster“ erreichen?

März: Mir ist inzwischen klar geworden, dass ich die Welt verändern will. Ich will, dass sie ein besserer Ort wird, als sie es jetzt ist. Das kann ich nur dadurch erreichen, indem ich die Leute nicht auslache, sondern ihnen das Lachen anbiete. Das Lachen, sich zu öffnen. Zunächst gegenüber den Inhalten und dann sich selbst infrage zu stellen. Sich selbst zu misstrauen, genauso wie man der Gesellschaft, den Politikern, Vorgesetzen und vorgegebenen Mauern misstrauen sollte. Das ist etwas, das ich gern tun möchte. Das ist auch, was mich mit Leoš und dem Haus verbindet. Weil sie sehr politisch sind und viele solche Ausstellungen machen. Ich bin zwar kein umgreifend politischer Künstler, aber das ist meine Grundmotivation. Und das ist auch, was Kunst tun sollte.

Volker März: Laughing Windows. DOX (Poupětová 1, Prag 7), geöffnet: Mo., Sa. & So. 10–18 Uhr, Mi. & Fr. 11–19 Uhr, Do. 11–21 Uhr (dienstags geschlossen), Eintritt: 180 CZK (ermäßigt 90 CZK), bis 10. Februar 2014

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