Wo Carmen, Dracula und Mephisto singen und tanzen
Klassiker und neue Musicals auf Prager Bühnen – ein Überblick zum Start der Wintersaison
27. 10. 2016 - Text: Gunnar Habitz, Fotos: GoJa und David Kraus
Vor gut 20 Jahren begann sich Prag zu einer europäischen Musicalmetropole zu entwickeln. Auf „Les Misérables“ im Jahr 1992 folgten mit „Jesus Christ Superstar“ und Karel Svobodas „Dracula“ zwei Dauerbrenner, die sich jahrelang der Gunst des Publikums erfreuten. Daneben gab es viele unbedeutende Stücke. Eine Zeit lang bekam fast jede den Tschechen bekannte Figur ein eigenes Musical. Internationale Stücke konnten dagegen lange nicht realisiert werden, weil die Produktionsfirmen die Lizenzen zunächst nicht ins östliche Europa vergeben wollten oder sich das mit den dortigen Eintrittspreisen nicht rechnete. So sollte es bis 2014 dauern, bis Andrew Lloyd Webbers „Phantom der Oper“ seinen Weg nach Prag fand; Daniel Dvořáks sehenswertes Bühnenbild wirkt in der pyramidenförmigen GoJa Music Hall tatsächlich wie ein Spiegelbild der Pariser Oper. Im großen Staraufgebot findet Marián Vojtko als Phantom hörbar seine Bestimmung, erwähnenswert außerdem der Koloratursopran von Michaela Gemrotová als Christine. Noch bis Mitte Dezember läuft die Produktion (www.fantomopery.cz), bevor ab Februar der auf deutschsprachigen Bühnen beliebte „Tanz der Vampire“ unter dem Titel „Ples upírů“ zu sehen ist.
Besser als das Original
Nachdem sich fast jede Bühne an Musicals versucht hat, haben sich inzwischen ein paar Häuser mit ihren Aufführungen etabliert. Die wohl höchste Qualität bietet das Hudební divadlo Karlín (www.hdk.cz), das seit 2006 unter der Leitung von Egon Kulhánek die richtige Mischung aus tschechischen Klassikern wie „Nacht auf Karlstein“, Werken aus dem Weltrepertoire wie „Jesus Christ Superstar“ und Operetten gefunden hat.
Der Erfolg von Karlín gipfelte 2008 in dem eigens für Prag komponierten Musical aus der Feder des amerikanischen Starkomponisten Frank Wildhorn: Mit dem „Carmen Musical“ schrieb er der bekannten Sängerin Lucie Bílá eine Traumrolle auf den Leib. Das Musical kam in einer sehenswerten Inszenierung des Broadway-Regisseurs Gabriel Barre auf die Bühne. Dabei wurden sogar Tiere aus dem Prager Zoo eingesetzt. Glücklicherweise klingt dieses Werk dank der spanischen Rhythmen nicht wie die einander recht ähnlichen Wildhorn-Musicals. Ab Mitte November kehrt Carmen wieder zurück ins Theater nach Karlín. Außerdem läuft dort das Country- und Gospel-Musical „Bonnie & Clyde“, das zuvor bereits in Bielefeld und Pilsen aufgeführt wurde.
Ein weiterer Trumpf für diesen Winter ist „Dracula“, das wohl erfolgreichste tschechische Musical überhaupt mit Exporten nach Liechtenstein, Moskau und Seoul. Die freie Geschichte des legendären Fürsten aus Transsilvanien von Karel Svoboda kam 2015 in einer aktualisierten Version zum 20-jährigen Bestehen auf die Bühne von Karlín. Erstklassige Darsteller um Daniel Hůlka singen erstmals zu einem Live-Orchester. Und siehe da, der Spielfilm-Regisseur Filip Renč erzielte deutliche Verbesserungen im zweiten Akt im Vergleich zur Urversion im Kongresszentrum. Zum Glück verzichtete er auf den Trabbi auf der Bühne, eingeführt zur zwischenzeitlichen Wiederaufnahme im Divadlo Hybernia.
Das mittelgroße Theater gegenüber dem Gemeindehaus am Platz der Republik (náměstí Republiky) zeigt seit 2006 vor allem Musicals, ergänzt um Konzerte und Ballett (www.hybernia.eu). Vor allem Fremdproduktionen sind im Spielplan zu finden. Nach dem „Fantom Londýna“, dem Hit des Vorjahres über Jack the Ripper, läuft das neue Werk „Mefisto“ ab 1. November. Wieder einmal eine literarische Figur, der sich Librettist Zdeněk Zelenka und Komponist Daniel Barták angenommen haben, erneut in der garantiert spannenden Regie von Filip Renč (www.muzikalmefisto.cz).
Im kleineren Divadlo Kalích (www.kalich.cz) lohnt sich die Geschichte von Jeanne d’Arc im Stück „Johanka z Arku“. Es läuft am letzten Wochenende im Oktober und Januar sowie Ende März und Anfang April. „Johanka z Arku“ ist eines der besten je in Prag aufgeführten, eher rockigen Musicals aus der Feder von Ondřej Soukup und Gabriela Osvaldová.
Auf unbestimmte Zeit verschoben
„Theater sind unersetzlich“