Wo der Honig zu Kuchen wird

Wo der Honig zu Kuchen wird

Der Medovník entsteht am Prager Stadtrand. In Handarbeit werden täglich 2.000 Torten gebacken – ein Teil davon für den Export nach Katar

30. 9. 2015 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Vizard, s.r.o. – Medovník originál

Man nehme 250.000 Kilo Mehl im Jahr, 16 Bäckermeister und ein altes slawisches Rezept. Zusammen mit Honig, Sahne und Kondensmilch sind das die Zutaten einer tschechisch-russischen Erfolgsgeschichte, deren Geschmack wohl jeder kennt, der zum Kaffee oder Tee gern Süßes verzehrt. Der Honigkuchen namens Medovník findet sich hierzulande auf vielen Speisekarten, in Konditoreien und im Supermarktregal. Gebacken wird er in aufwendiger Handarbeit in Chodov, einem Viertel im Prager Südosten. Fließbänder und Industriebacköfen sucht man dort vergeblich, obwohl täglich etwa 2.000 Torten gefertigt werden.

Marianna Chibovská und ihr Mann Oleg ahnten nicht, dass sie irgendwann mehr als Tausend Kilo Honig im Monat verarbeiten würden, als sie vor knapp 20 Jahren ihren Medovník aus Russland nach Tschechien brachten. Sie experimentierten mit einem alten Familienrezept, backten Kuchen für Freunde und Bekannte. Die bestellten immer mehr, aus drei wurden 30, dann 300 am Tag, die Gründer und Eigentümer der Firma, die den Namen Vizard erhielt, konnten nicht mehr alle Honigkuchen selbst in den Ofen schieben; auch die Räume wurden zu klein.

Mittlerweile hat das Unternehmen, das seit 2006 den Handelsnamen Cake Factory nutzt, die Schutzmarke für die Bezeichnung „Medovník originál“ erworben. Wer ähnliche Produkte auf den Markt bringt, muss sie anders nennen – wie zum Beispiel der Hersteller aus Frýdek-Místek, der seinen Honigkuchen als „Marlenka“ vertreibt. Für den Direktor der Cake Factory Jiří Černý ist es „auch eine gute Reklame, dass die Konkurrenz uns nachahmt“. Mit Plastikumhang und Haarnetz führt er durch die Produktion. Derzeit zählt die Firma 58 Angestellte. Viele davon seien Ehepaare, sagt Černý: Die Männer rollen in der Backstube den Teig aus, die Frauen bestreichen ihn anschließend mit Creme, verzieren den Kuchen mit Walnüssen und wickeln ihn in Frischhaltefolie.

Ein Teil der fertigen Medovníks stapelt sich im Zwischenlager bei knapp über null Grad. Diese Torten sind für den heimischen Markt bestimmt. Neben Cafés und Restaurants verkaufen in Tschechien einige große Supermarktketten die Honigtorten, darunter Kaufland, Tesco, Globus und seit kurzem auch Lidl, weshalb der Direktor vom erfolgreichsten Jahr in der Geschichte des Unternehmens spricht. Wie hoch Umsatz und Gewinn ausfallen, will er aber nicht verraten. Nur soviel: 2014 habe man die Produktion um 18 Prozent steigern können.

Interesse an Deutschland
Hinter einer dickeren Tür lagern die Kuchen für den Export. Sie werden tiefgefroren verkauft, minus 24 Grad zeigt das Thermometer. Acht bis zehn Prozent der Produktion gehen nach Holland und Belgien, wo der Medovník aus Prag ebenso beliebt ist wie in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar und der Türkei. Nach Deutschland liefert das Unternehmen bisher kaum, Černý möchte das aber gerne ändern. Den großen Nachbar im Westen, dazu Österreich und die Schweiz als Absatzmärkte zu erschließen, sei sein nächstes großes Ziel, sagt der Direktor.

Nebenan wird der Teig zusammengemischt. Den Honig liefern laut Černý tschechische Imker, auch die anderen Zutaten stammen überwiegend von heimischen Erzeugern. Anschließend werden die fünf Platten, die später zu einer Torte geschichtet werden, von Hand ausgerollt. Jeder Bäcker schafft mehrere Hundert Kuchen am Tag, pro Arbeitsplatz gibt es drei bis vier Öfen – in jeden davon passt immer nur ein Medovník. Die gebackenen Platten müssen eine Weile ruhen, bevor sie im nächsten Raum mit Creme bestrichen werden. Die eine Masse besteht hauptsächlich aus Kondensmilch, die andere aus Sahne. „Wir verwenden keine Chemie, keine Stabilisatoren“, versichert Černý, während die Frauen Kuchen für Kuchen zusammensetzen. Zu zweit schaffen sie 100 bis 200 Torten am Tag, wenn eine besondere Aktion anstehe, auch mal bis zu 500, verrät eine Mitarbeiterin. Ebenfalls von Frauenhand werden die Kuchen verpackt – im Ganzen oder aber in Stücken.

„Das ist unser Bestseller“, sagt der Direktor und deutet auf ein einzelnes Stück Medovník, in Frischhaltefolie gewickelt und Karton verpackt – eine Portion Kuchen für den Singlehaushalt verkauft sich vor allem im Supermarkt. Das Unternehmen hat auch andere Kuchen und Torten im Angebot, aber der Honigkuchen in verschiedenen Formen und Größen mache etwa 90 Prozent der Produktion aus, erklärt Černý zwischen zwei Stapeln mit Medovník-Schachteln. Jeden Tag könne er den Honigkuchen nicht essen, sagt er, „aber jeden zweiten oder dritten schon“.