Woran starb Tycho Brahe?
Die Ergebnisse der dritten Exhumierung Tycho Brahes widerlegen bisherige Mordtheorien
28. 11. 2012 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert
Kein Ruhen in Frieden. Seit über vier Jahrhunderten liegen die Gebeine Tycho Brahes (1546–1601) nun schon unter der Erde, die letzte Ruhe aber blieb ihm bisher verwehrt. Seit dem überraschenden Tod des berühmten Astronomen im Jahre 1601 kursieren verschiedene Gerüchte über dessen Ursache. Bereits dreimal wurde der Leichnam Brahes exhumiert. Zuletzt im Jahr 2010, nachdem Wissenschaftler den Verdacht des Mordes hegten. Quecksilberspuren in den sterblichen Überresten erhärteten den Verdacht, der schon seit vielen Jahrhunderten besteht. Andererseits war Brahe auch als Alchemist tätig, hätte sich eine solche Vergiftung also selbst zugezogen haben können. Den genauen Quecksilberanteil festzustellen und damit die Todesursache zu klären, war die Absicht dieser jüngsten Graböffnung, deren Ergebnisse nun ausgearbeitet sind. Der Befund: Ein ungewöhnlich hoher Quecksilbergehalt konnte nicht bestätigt werden, Brahe wurde nicht vergiftet.
Eine Tür öffnet sich
Tycho Brahe zählte zu den bedeutendsten Wissenschaftlern seiner Zeit. Mittels selbst konstruierter Winkelmessinstrumente gelang es ihm, außergewöhnlich präzise Beobachtungen von Sternen und Planeten durchzuführen. Mehr als 700 exakte Sternpositionen trug er zusammen – und das, obwohl Teleskope zu seiner Zeit noch nicht erfunden waren. International bekannt wurde Brahe mit seiner Schrift „Vom neuen und nie zuvor gesehenen Stern“ über die Beobachtung einer Supernova, der Explosion eines massereichen Sterns am Ende seiner Lebenszeit. 1572 entdeckte er im Sternbild Cassiopeia den plötzlich aufflammenden Stern, der erst nach einem Jahr wieder erlosch. Das Phänomen erregte damals großes Aufsehen, ließ es sich doch mit dem bekannten Weltbild nicht vereinbaren. Brahe ordnete den sterbenden Stern der Fixsternebene zu und widerlegte dadurch die Aristotelische Annahme eines ewigen und unveränderlichen Firmaments. Damit stieß er die Tür zur neuzeitlichen Wissenschaft auf.
1599 folgt der gebürtige Däne einer Einladung an den kaiserlichen Hof in Prag. Rudolf II. hatte Brahe eine Stelle als Hofmathematiker angeboten und versprach ihm, eine neue Sternwarte als Forschungsstätte zu errichten. Das Observatorium sollte auf Schloss Benatek (Benátky nad Jizerou) entstehen, wo sich Brahe bis Juni 1600 aufhielt, um ungestört vom höfischen Trubel arbeiten zu können. Noch im selben Jahr kommt Johannes Kepler (1571–1630) als Brahes Assistent nach Prag. Vermutlich hoffte Brahe, seine eigenen Beobachtungen mit Keplers herausragenden mathematischen Fähigkeiten zu verbinden und so die Gültigkeit seines Weltbildes zu belegen. Zwischen Kopernikanischem Modell, das die Sonne ins Zentrum des Universums rückte, und dem alten Ptolemäischen System mit der Erde im Mittelpunkt entwarf Brahe eine Kompromissvariante. Im Tychonischen Weltbild dreht sich die von Planeten umkreiste Sonne um ein gemeinsames Zentrum: die Erde. Über Jahrzehnte hinweg sollte dieses Modell das Weltbild prägen, erst Isaac Newton führte es ad absurdum.
Doch Brahes Hoffnung erfüllt sich nicht. Nach seinem Tod übernimmt Kepler den Posten des Hofastronomen. Er widerlegt seinen Vorgänger. Ausgerechnet Brahes Messdaten bildeten die Basis für die Keplerschen Gesetze der Planetenbewegung. Später wird Newton mithilfe dieser Regeln eine neue Mechanik entwickeln und das geozentrische Weltbild über den Haufen werfen.
Mysteriöser Tod
Am 13. Oktober 1601 nahm Brahe an einem kaiserlichen Festessen teil. Elf Tage später verstarb er unverhofft im Alter von 54 Jahren. Die Legende besagt, dass Brahe zu Tisch einen heftigen Harndrang verspürte, diesem aus Respekt vor der Hofetikette jedoch nicht nachging – sich vor dem Kaiser von der Tafel zu erheben galt als ungehörig. Demzufolge sei Brahe an einem Blasenriss gestorben. Trotzdem ranken sich verschiedene Theorien um den mysteriösen Todesfall.
In den neunziger Jahren untersuchten dänische und schwedische Wissenschaftler den Schnurrbart, den das Prager Nationalmuseum seit der ersten Exhumierung im Jahre 1901 verwahrte. Sie stellten eine erhöhte Quecksilberkonzentration fest. Seitdem bestand der Verdacht einer Vergiftung als mögliche Todesursache. Die Messungen wiesen darauf hin, dass Brahe nur wenige Stunden vor seinem Tod eine hohe Dosis Quecksilber zu sich genommen hatte. Das ist nicht unwahrscheinlich, denn Brahe experimentierte als erfahrener Alchemist mit verschiedenen Mitteln an sich selbst. Ungeklärt blieb also, ob Brahe mit dem schädlichen Element vergiftet wurde oder sich selbst versehentlich durch Eigenmedikation umbrachte.
Mordtheorien kursierten in Europa bereits seit seinem plötzlichen Tod; nun wurden sie erneut genährt. Für Aufsehen sorgten 2004 die amerikanischen Journalisten Joshua und Anne-Lee Gilder. In ihrem Buch „Der Fall Kepler – Mord im Namen der Wissenschaft“ charakterisieren sie Kepler als den hinterlistigen Mörder, der an die Daten seines Vorgängers wollte, um das Geheimnis um den Aufbau des Planetensystems lösen zu können. Eine andere Theorie entwarf der dänische Literaturhistoriker Peter Andersen. Ihm zufolge hat ein entfernter Verwandter Brahe auf dem Gewissen. Sein Vetter Erik Brahe soll Tycho auf Wunsch des dänischen Königs Christian IV. vergiftet haben. Angeblich hätte Tycho eine Affäre mit Christians Mutter Sophie von Mecklenburg gehabt, die der Herrscher rächen wollte. Darauf deuten Tagebucheinträge Erik Brahes aus der Zeit seines Besuchs in Prag kurz vor dem Tode Tychos hin. Mehrfach spricht er darin von „mea culpa“ – meine Schuld –, ohne jedoch eine Erklärung zu liefern.
Rätsel um ein sonderbares Näschen
Als dänische Wissenschaftler vor zwei Jahren das Grab Tycho Brahes in der Teynkirche zum dritten Mal öffneten, erhofften sie sich mittels Atomspektroskopie der Knochenproben eine endgültige Lösung des rätselhaften Falls. Laut dem dänischen Archäologen Jens Vellev ist Brahe weder einem Mordkomplott noch einer versehentlichen Vergiftung zum Opfer gefallen. „Die gemessene Quecksilberkonzentration war nicht hoch genug, als dass sie Brahe hätte töten können“, sagt Vellev. „Es hat sich hingegen gezeigt, dass er während seiner letzten fünf Lebensjahre keiner abnormalen Quecksilberbelastung ausgesetzt war.“ Auch die Analyse der Barthaare ist negativ. Der Wert des Quecksilberanteils sank während der letzten acht Wochen vor dem Tod des Astronomen auf ein unbedenkliches Niveau. Indes räumten die Forscher mit einem anderen Mythos auf: Brahes Nasenprothese war nicht aus Silber gefertigt, sondern aus gewöhnlichem Messing.
Der Astronom hatte im Alter von 20 Jahren einen Teil seiner Nase verloren, als er sich mit einem Mitstudenten duellierte. Der Überlieferung zufolge trug er seitdem eine Prothese aus einer Gold-Silber-Legierung. Die Forscher fanden aber lediglich Spuren von Kupfer und Zink.
Nun hoffen die Forscher mittels Computertomografie das Gesicht des berühmten Renaissance-Wissenschaftlers rekonstruieren zu können. So hätte man am Ende wenigstens ein klares Bild des Mannes, dessen Spur sich im Sternenstaub verlor.
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