Zahlungen für nichts
Gauner nutzen Tschechien als „Firmensitz“ und Zielort für Geldüberweisungen
14. 7. 2021 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Ibrahim Boran
Es hört nicht auf. Im Gegenteil. Immer öfter beschweren sich Betroffene derzeit wieder im Europäischen Verbraucherzentrum für Deutschland. Sie haben hohe Rechnungen für angeblichen Telefonsex erhalten. Verschickt werden diese Rechnungen – und hinterher auch Mahnungen – von vermeintlichen Firmen in Tschechien.
Die Abzocke ist schon länger bekannt. „Ich habe damit seit vier Jahren zu tun“, sagt Karolina Wojtal vom Verbraucherzentrum. Doch haben diese Firmen tatsächlich ihren Sitz im Land? „Es wird ein Postfach in Tschechien angegeben und die Firmen sind dort registriert“, erläutert Wojtal gegenüber der „Prager Zeitung“. Gleiches Land, gleiche Masche, ähnliche Erläuterungen von Betroffenen: „Es deutet alles auf Tschechien hin.“
In einem Fall forderte ein tschechisches „Unternehmen“ per Mahnschreiben dazu auf, 140 Euro zu zahlen. In Rechnung gestellt wurden ein Preis pro Telefoneinheit (90 Euro) plus Verzugskosten (50 Euro).
Einen Monat später verlangte die Firma in einer SMS bereits 198 Euro. Mit Formulierungen wie „Vermeiden Sie weitere Maßnahmen“ wird Betroffenen bewusst Angst gemacht. Rechnungen und Mahnungen per Post oder als SMS-Nachrichten zu verschicken sei die Regel, so die Auskunft aus dem Verbraucherzentrum. In ihren Schreiben weisen die Verbrecher diskret auf einen „Service für Erwachsene“ hin, der in Anspruch genommen worden sei. Manchmal aber auch explizit auf eine „Telefonsexdienstleistung“ oder einen „Service für besondere sexuelle Ansprüche“. Zudem werden Datum und Uhrzeit aufgeführt, zu denen angeblich ein Gespräch geführt worden sei – nicht allerdings, welche Nummer angerufen wurde.
Warum gerade Tschechien der Zielort für Überweisungen ist, bleibt unklar. „Möglicherweise, weil es dort einfach ist, ein Unternehmen zu gründen“, spekuliert Karolina Wojtal. Auch wer die Täter sind, steht nicht fest. „Es könnte sich um eine organisierte Bande handeln“, fügt die Verbraucherschützerin an.
Verfasst werden die Mahnungen auf Deutsch. Und die Täter betreiben einen großen Aufwand. Für Karolina Wojtal ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich deren „Geschäft“ lohnt. „Ich gehe davon aus, dass wir nur die Spitze des Eisberges sehen“, erklärt sie. Wojtal geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Von einer sehr hohen sogar: „Es könnten Zehntausende von Verbrauchern betroffen sein.“ Doch viele melden sich nicht, weil es sich um ein heikles Thema handelt. „Und viele werden auch zahlen.“
Angerufen werden nach ihrer Kenntnis derzeit nur Deutsche, wie Rücksprachen mit Kollegen ergaben. Das Verbraucherzentrum mit Sitz in Kehl am Rhein hilft Deutschen, aber auch Tschechen mit Wohnsitz in Deutschland bei grenzüberschreitenden Fragen und Problemen mit Unternehmen im EU-Ausland, wie Pressesprecher Jonas Maunichy ausführt. Auch in Prag existiert solch ein Zentrum, in der Štěpánská 44.
Die Verbraucherschützer raten dringend dazu, keinesfalls Dienstleistungen zu zahlen, die nicht in Anspruch genommen wurden. Wer keine Telefongespräche geführt habe, muss dafür logischerweise nicht zahlen. Gleiches gilt, wenn eine Nummer zwar gewählt, aber sofort wieder aufgelegt wurde oder nur eine Mailbox dran war. Dementsprechend sollten sich Betroffene von unberechtigten Zahlungsaufforderungen oder Mahnungen nicht einschüchtern lassen und sofort schriftlich widersprechen.
Allerdings ändern Anbieter ständig ihren Namen. „Mittlerweile sind uns 10 verschiedene Firmennamen bekannt“, so Karolina Wojtal. Nämlich Telstar, Phonemax, Revast, Novacall, Mediascape, Paymac, Arvex und Avotex, Onax und Emveco. Grund dafür: Vor manchen Firmen wird bereits im Internet gewarnt.
Zum Schutz vor dieser Methode gibt das Verbraucherzentrum den Tipp, Anschreiben genauer zu betrachten. Unseriöse Rechnungen und Mahnungen seien unter anderem daran zu erkennen, dass Name und Adresse der Empfänger falsch oder unvollständig geschrieben seien. Zudem werde der Adressat nicht mit Namen, sondern mit „Sehr geehrte(r) Telefonanschlussinhaber(in)“ angesprochen. Fast immer fehlt auch eine vollständige Absender-Adresse des Unternehmens.
Generell gelte: Falls eine Dienstleistung genutzt wurde, sind zunächst nur die Verbindungskosten zu zahlen. Weitere Kosten fallen erst dann an, wenn mit dem Anbieter zuvor ein Vertrag mit festgelegten Preisen geschlossen wurde. Doch einen solchen Nachweis können Anbieter in der Regel nicht erbringen. Wichtig auch: Wenn Unternehmen Geld fordern, dann müssen sie immer beweisen, auf welcher Grundlage sie dies tun. Außerdem müssen sie belegen, dass der Kunde vorab alle Informationen erhalten hat.
Betrüger haben verschiedene Maschen, um an die Adressen und Telefonnummern der Verbraucher zu kommen. „Nicht selten werden sie im Darknet gekauft“, berichtet Wojtal. Daher haben sich Frauen und selbst Minderjährige schon bei ihr als Betroffene gemeldet. Immer wieder erwähnen Verbraucher Anrufe, in denen sie nach ihrer Anschrift gefragt wurden, weil angeblich ein Paket zugestellt werden soll. Oder von Lock-Anrufen, bei denen das Handy nur kurz geklingelt hat. Oft haben Betroffene aus Neugier zurückgerufen und ihre Daten preisgegeben. Andere haben auf Zeitungsannoncen reagiert.
Die Mitarbeiter des Verbraucherzentrums geben den Tipp, bei unerwünschten Anrufen immer nach dem Namen des Anrufers und nach dessen Unternehmen zu fragen, um sich vor Daten-Diebstahl oder Betrug zu schützen. Ebenso nach dem Grund des Anrufs. Danach sollte gefordert werden, dass sämtliche Daten gelöscht werden und künftig nicht mehr angerufen wird.
Doch Betrüger versuchen nicht nur, für angeblichen Telefonsex hohe Geldbeträge von potenziellen Opfern zu kassieren. Gleiches gilt auch beim sogenannten „Chefbetrug“. Und auch dafür war Tschechien bereits Zielort für Geldüberweisungen. Bei dieser kriminellen Methode geben sich Täter als Chef oder Geschäftsführer (CEO) eines Unternehmens aus. Manchmal auch als Vorstandsmitglied, Anwalt oder als Beschäftigter einer Behörde, etwa der BaFin. Sie ermuntern einen Mitarbeiter des Unternehmens, der in der Buchhaltung oder Finanzabteilung arbeitet und daher Überweisungen durchführen kann, per E-Mail oder am Telefon, eine größere Summe anzuweisen – oft in fünf- bis achtstelliger Höhe.
Als Grund wird häufig die Übernahme eines anderen Unternehmens genannt. Das Geld soll ins Ausland transferiert werden. „Insbesondere nach China, Hongkong, Polen, Ungarn – oder Tschechien“, wie die Polizei in Regensburg erläutert.
Auf diese Betrugsmasche fiel nun ein Unternehmen in Amberg herein. Mit Hilfe einer E-Mail-Adresse, die geringfügig von der E-Mail-Adresse des Geschäftsführers abwich, nahm ein noch unbekannter Täter Kontakt zu einer Mitarbeiterin des Unternehmens auf. Er gab sich als Geschäftsführer aus und forderte sie zu einer Überweisung auf ein Konto in Großbritannien auf. Die Mitarbeiterin erkannte nicht, dass es sich um die fingierte Nachricht eines Betrügers handelte. Ergebnis: ein Schaden im höheren fünfstelligen Euro-Betrag für die Firma.
Zur Vorbereitung ihres Betrugs spionieren die Täter gezielt Daten aus. Vor allem nutzen sie Informationen, die Unternehmen in Wirtschaftsberichten, im Handelsregister, auf ihrer Homepage oder in Werbebroschüren veröffentlichen. Besonderes Augenmerk legen sie auf Angaben zu Geschäftspartnern und künftigen Investments. Daher ist diese Methode auch als „CEO-Fraud“ bzw. „Fake-President-Fraud/-Trick“ oder „Chef-Masche“ bekannt.
Sie funktioniert, weil Täter auf viele Details achten. „Minimale Unterschiede in der E-Mail-Adresse, eine saubere Sprache, ein nicht zu hoher Geldbetrag, großer Zeitdruck“, fasst Florian Beck vom Polizeipräsidium in Regensburg zusammen. In der Flut von Nachrichten und Mails reagieren Opfer oft falsch.
Daher rät die Polizei nicht nur größeren Unternehmen, Vorkehrungen zu treffen, um nicht getäuscht zu werden. Mitarbeiter sollten E-Mails stets bezüglich der Adresse des Absenders und der korrekten Schreibweise hin überprüfen. Zudem sollten Zahlungsaufforderungen unbedingt durch einen Rückruf oder eine schriftliche Rückfrage beim genannten Auftraggeber bestätigt werden. Dabei dürfe jedoch logischerweise nicht die angegebene Telefonnummer oder E-Mail-Adresse des Absenders verwendet werden. Vielmehr müsse es dafür einen internen Kommunikationsplan im Unternehmen geben.
Wichtig auch: eine Rücksprache mit der Geschäftsleitung oder dem Vorgesetzten. Unternehmen sollten darauf achten, welche Informationen über sie öffentlich sind bzw. wo und was in Zusammenhang mit ihnen publiziert wurde. Keinesfalls sollten sich Überweisungsberechtigte wegen angeblicher Dringlichkeit unter Zeitdruck setzen lassen.
Die „Chefmasche“ ist „ein weltweites Phänomen“, so Polizeisprecher Florian Beck. Solche Versuche kommen auch an der deutsch-tschechischen Grenze seit Jahren und immer wieder vor. Wobei Betrüger für Überweisungen „normale Konten ebenso wie Direktüberweisungen“ verwenden. Dies gilt für beide Tricks. Deshalb raten Verbraucherschützer und Polizei, sich stets umgehend mit polizeilichen Dienststellen und gegebenenfalls der Bank in Verbindung zu setzen. Trotzdem ist die Chance auf Rückerstattung von bereits gezahltem Geld gering. „Zwar haben Betroffene einen Anspruch darauf, doch die Durchsetzung dieses Anspruchs ist sehr schwierig“, erklärt Karolina Wojtal.
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