Zankapfel Böhmerwald
Kritik an geplanter Gesetzesnovelle –ausländische Experten schicken offenen Brief an Umweltminister
10. 4. 2013 - Text: Ivan DramlitschText: id/čtk; Foto: Hédel
Die Frage, wie im Böhmerwald – auf Tschechisch Šumava – Naturschutz konkret umgesetzt werden soll, erhitzt regelmäßig die Gemüter. Vor knapp zwei Jahren ist die Lage in Südböhmen eskaliert. Wegen geplanter Rodungen kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Naturschützern, Anwohnern und Polizei. Jetzt ist der Nationalpark an der böhmisch-bayerischen Grenze erneut in den internationalen Fokus gerückt: In einem offenen Brief kritisieren rund 70 Experten und Wissenschaftler aus ganz Europa das tschechische Umweltministerium. Dieses will mit einem neuen Gesetz die geltenden Regeln im Nationalpark ändern.
In der Vergangenheit sorgte vor allem der Borkenkäfer für politischen Zündstoff. Bei der Frage, ob und wie gegen diesen Schädling vorzugehen sei, prallen zwei entgegengesetzte Philosophien aufeinander: Die einen wollen aktiv gegen den Befall vorgehen, die anderen glauben an die Selbstregulierungskräfte der Natur und sind gegen jeden Eingriff.
Entlang dieser Frontlinie verläuft auch der aktuelle Streit. Er entzündet sich an zwei Gesetzesnovellen zum Böhmerwald, die Umweltminister Tomáš Chalupa (ODS) und der Kreis Pilsen dem tschechischen Parlament vorgelegt haben.
Bauen im Naturpark
Diese werden von tschechischen Umweltschützern schon länger heftig kritisiert: „Beide Gesetzesentwürfe öffnen den Park für Bauunternehmen, ermöglichen Bauvorhaben wo dies bisher nicht möglich war und verkleinern die Kernbereiche des Parks, in die nicht eingegriffen werden darf“, heißt es in einer Erklärung der Umweltschutzorganisation „Hnutí Duha“.
Durch die Pläne, so die Kritiker, verliere der Nationalpark seinen Sinn. International üblich sei es nämlich, dass in diesen Gebieten mindestens 75 Prozent der Fläche einer natürlichen Entwicklung ohne menschlichen Eingriff überlassen werden. Im Böhmerwald sind gerade mal 35 Prozent geplant – und das auch erst in 40 Jahren.
In dem offenen Brief, den unter anderem mehrere europäische Nationalparkdirektoren unterschrieben haben, wird darüber hinaus vor umstrittenen Bauvorhaben wie Seilbahnen und Hotels gewarnt.
Umweltminister Chalupa gibt sich unbeeindruckt. Den ausländischen Fachleuten wirft er mangelnde Kenntnisse vor: „Ich habe das Gefühl, dass die Personen nicht richtig informiert sind. Meiner Meinung nach fordern sie das Gleiche, was das Gesetz vorsieht“, so Chalupa in einer ersten Reaktion auf den Brief.
Mensch gegen Natur
Seinen Gesetzesentwurf präsentiert der Minister als einen Kompromiss zwischen den regionalen Selbstverwaltungen, den politischen Parteien, Experten und Umweltschützern. „Dass einige größere Schutzzonen fordern, verstehe ich. Aber es muss uns doch klar sein, dass wir über eine Gebiet reden, in dem Menschen leben, wo es Gemeinden gibt“, so der Minister.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Prager Šumava-Politik von ausländischer Seite kritisiert wird. Bereits im Herbst des vergangenen Jahres drohte die internationale Naturschutzorganisation IUCN, dem Böhmerwald den Nationalpark-Status abzuerkennen, falls die Behörden nicht die internationalen Regeln einhielten. Auch ein wissenschaftliches Gutachten der Prager Karlsuniversität lässt an Chalupas Plänen kein gutes Haar. Das geplante Gesetz sei „einseitig auf die Förderung unternehmerischer Aktivitäten ausgerichtet und steht im Widerspruch zu allgemeinen Grundsätzen des Naturschutzes“, heißt es dort. Gleiche Bedenken äußerte der „Wissenschaftliche Schattenrat“, eine Art alternative Expertenkommission, die sich mit der Böhmerwald-Problematik befasst. Deren Vertreter Jan Vrba bezeichnete die Politik des Umweltministers als „bewusstes, programmatisches und langfristiges Ignorieren der Naturschutzproblematik.“ Ein neues Gesetz ist seiner Meinung nach nicht nötig: „Die geltenden Vorschriften müssen eingehalten werden. Allen muss klar sein, dass in einem Nationalpark weder Holzwirtschaft noch Baufirmen prioritär behandelt werden dürfen“, so Vrba.
„Online-Medien sind Pioniere“
Kinderwunsch nicht nur zu Weihnachten