Zeitgenössischer Quergeist
Das Festival „4 + 4 Tage in Bewegung“ belebt den Prager Kulturherbst
25. 10. 2012 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: 4+4 dny v pohybu
Ein wenig erinnert es an einen ungezogenen Bengel, der so gar nicht will, wie man ihm sagt. Das kann belasten, macht aber auch stolz auf dessen eigenwilligen Geist, den Drang, Grenzen zu erkunden und zu provozieren. Das Prager Kulturfestival „4 + 4 dny v pohybu“ („4 + 4 Tage in Bewegung“) von 26. Oktober bis 3. November präsentiert ein umfangreiches Spektrum zeitgenössischen Kunstschaffens.
Beim 17. Jahrgang steht das Motto in Form einer ironisch-sarkastischen Frage im Zentrum der Betrachtung: „Would you like to play another game?“ („Möchten sie noch ein Spiel spielen?“). Mittels Tanz, Theater, Installationen, Ausstellungen, Videos, Diskussionsrunden und zahlreicher anderer (Klein-)Kunstformen sollen gesellschaftspolitisch relevante Themen aufgegriffen werden. Kunst steht in der Denkart der meist jungen Programmverantwortlichen nicht einfach für sich selbst – sie erfüllt einen bestimmten Auftrag. „Wir versuchen weiterhin, wichtige gesellschaftliche Signale zu erfassen. Sie sollen zeigen, dass wir in der heutigen Welt nicht einfach so weitermachen können“, so Mitorganisatorin Denisa Václavová. Diese kritischen Ansätze beziehen sich auf sämtliche Facetten des Hier und Jetzt, auf ökologische, ökonomische wie auch soziale Brennpunkte.
Stachel im Fleisch
Ursprünglich als innovatives Theaterfestival ins Leben gerufen, hat die insgesamt neun Tage zählende Veranstaltungsreihe sehr schnell mehrere Gesichter erhalten. Auf etablierten Prager Bühnen wie dem „Divadlo Archa“ oder dem „Roxy NoD“ fordern internationale Künstler mit unkonventionellen Projekten des Betrachters See- und Denkgewohnheiten heraus, während im „Hauptquartier“ in der Pařížská 25 Ausstellungen, Videoinstallationen und Partys den Ton angeben. Wie jedes Jahr befindet sich der Festivalmittelpunkt in einem unbenutzten Gebäude im Zentrum der Stadt. In Zeiten einer verstärkten europäischen Wirtschaftskrise logiert das kritische Kunstereignis ausgerechnet in einer der teuersten Straßen Prags. Viel deutlicher als in das alte Casino der Pariser Straße kann man den Stachel ins Fleisch des Konsumprimats nicht setzen.
Eine herausragende Tanzperformance präsentiert der Choreograf Christoph Winkler am 30. Oktober. Im Divadlo Archa wird der in der Berliner Freien Szene beheimatete Torgauer „Baader – Choreographie einer Radikalisierung“ aufführen. Schrille Musik untermalt Winklers ekstatische Körperlichkeit und reißt den Zuschauer hinein in eine außergewöhnliche Darstellung.
Das Festivalmotto repräsentiert eine Ausstellung im alten Casino. Sie wurde von Václová und Tschechiens Künstler des Jahres 2011, Krištof Kintera, kuratiert. Begleitet wird die Exposition von Straßenkunstaktionen. Genau dort, draußen, in den Straßen der Großstadt, wo man eine breite Öffentlichkeit mit komplexen künstlerischen Inhalten konfrontieren kann, fühlt sich ein etwas ungezogener Bengel auch am wohlsten.
4+4 dny v pohybu, 26. Oktober bis 3. November, Programm und Erläuterungen (auch auf Englisch) unter www.ctyridny.cz
Veranstaltungsorte:
Altes Casino (Pařížská 25, Prag 1), Divadlo Archa (Na Poříčí 26, Prag 1), Alfred ve dvoře (Fr. Křížka 36, Prag 7), Studio ALT@ (U Výstaviště 21, Prag 7), La Fabrika (Komunardů 30, Prag 7), Roxy NoD (Dlouhá 33, Prag 1)
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