„Zeman wird Rache nehmen“
Warum hat sich der Amtsinhaber durchgesetzt? Wird die gesellschaftliche Spaltung nun noch weiter voranschreiten? Pressekommentare zur Wiederwahl des Präsidenten
30. 1. 2018 - Text: Josef Füllenbach, Foto: kremlin.ru
Die Wiederwahl Miloš Zemans als Präsident der Tschechischen Republik beherrschte am Montagmorgen die Aufmacher aller Zeitungen, in einigen Fällen mit ganzseitigen Porträtfotos, gefolgt von jeweils zahlreichen Berichten und oft mehreren Kommentaren – allein die „Volkszeitung“ („Lidové noviny“) brachte es auf sieben Kommentare. Im Folgenden bringt die „Prager Zeitung“ Auszüge aus Kommentaren der wichtigsten Printmedien.
Kein künstliches Marketingprodukt
Die auflagenstärkste Tageszeitung Mladá fronta Dnes meint, nach dem Wahlsieg lasse sich Miloš Zemans „politische Karriere nur noch mit derjenigen seiner beiden Vorgänger im Präsidentenamt vergleichen – Václav Havel und Václav Klaus. Zeman gewann, weil er der bessere Kandidat war. Es zeigten sich vor allem seine Erfahrungen, auch diejenigen, die er in den vergangenen fünf Jahren im Präsidentenamt angesammelt hatte. Wacker bereiste er die Republik, traf sich mit den Bürgern und erläuterte geduldig seine Ansichten, Standpunkte und Handlungen. Auf diese Weise hielt er die Armee seiner Gefolgschaft in Kampfstimmung, eine Gefolgschaft, die schon längere Zeit die zahlenmäßig größte Wählergruppe in Tschechien ausmacht. Daran vermögen die Marketingexperten, die sich schon lange den Kopf darüber zerbrechen, wie Zeman zu schlagen ist, nichts zu ändern. Denn Zeman ist kein künstliches Marketingprodukt. Er ist ein Politiker, der sich seine Marke selbst geschaffen hat und sie mit Inhalt und Emotionen füllte. Gerade Emotionen spielten in den vergangenen Wahlen eine starke Rolle und darum hat Zeman gewonnen.“
Animalische Direktwahl
Die sozialdemokratische Tageszeitung Právo versucht die knapp 49 Prozent der Wählerstimmen zu erklären, die Zemans Gegenkandidat Jiří Drahoš errungen hat: „Unglaubliche knapp 49 Prozent der Stimmen erhielt ein Kandidat, den einige Monate früher die große Mehrheit der Wähler überhaupt noch nicht kannte. Während der ganzen Kampagne sagte er nichts, was so saftig gewesen wäre, dass man ihn auf eine Pizza hätte einladen mögen, um sich das noch einmal anzuhören. Aber selbst die Minimalbotschaft, dass in die Politik Anstand gehört, unser Land zum Westen und Zeman in den verdienten Ruhestand, hat das Publikum so eingenommen, dass fast die Hälfte der Wähler einen Wahlschein mit Drahošs Namen in die Urne warf.
In der Befragung hat dann ein großer Teil von ihnen zugegeben, dass sie vor allem gegen Zeman gewählt haben. Auch im Lager der Anhänger von Drahoš überwog nach der Bekanntgabe der Ergebnisse die Ansicht, dass der Professor im Vergleich mit dem politischen Routinier schwächer war und dass in der irgendwie animalischen Direktwahl der präsidentielle Biss den Sieg davontrug. Der nahezu ausgeglichene Wahlausgang signalisiert aber auch, dass die Hälfte der Bevölkerung praktisch jeden anderen Stil begrüßen würde als den, der vom gegenwärtigen Staatsoberhaupt gepflegt wird.“
Vulgärer Patriotismus
Auf der Internetseite der Wochenzeitschrift Echo macht sich der Kommentator Gedanken über die Gründe, warum Jiří Drahoš die Wahl verlor: „In den letzten Tagen wird viel darüber geschrieben, warum die Wahlkampagne von Drahoš nicht erfolgreich war; darunter sind viele Beobachtungen relevant. Doch der grundsätzliche Fehler kam nicht von ihm oder von den Leuten seines Teams. Denn Drahoš war die Erfüllung eines bestimmten von vielen geteilten Ideals – eines Präsidenten, der vor allem würdig ist, kultiviert und anständig, der zu einer Art Oberlehrer der Gesellschaft wird. Nun ist völlig klar geworden, dass das nicht ausreicht. Nicht einmal in einer Situation, in welcher der Gegner offensichtlich erschöpft ist und seinen Zenit überschritten hat. Die Präsidentschaftswahlen haben eine Kräfteverteilung bestätigt, wie sie schon die Parlamentswahlen anzeigten.
Die bestimmenden und derzeit zusammenwirkenden Tendenzen sind auf der einen Seite ein oligarchischer Technokratismus, eine Partei der Überwachung und der Maloche, und auf der anderen Seite ein vulgärer Patriotismus, eine Partei der Kränkung epischen Ausmaßes, des Isolationismus und kraftmeierischer Parolen. Die erste Tendenz wird von einer klaren Machtpyramide repräsentiert mit dem ‚höchsten Oligarchen’ an der Spitze. Die zweite ist eher eine lockere Verbindung von Anhängern und Politikern, die von Okamura über Filip und Chovanec bis zu dem jüngeren Klaus reicht. In deren Zentrum steht der Präsident, der freilich kein eigenes politisches Projekt hat außer Rache zu nehmen (und in der ersten Amtsperiode noch die Wiederwahl). Momentan verstärken sich diese beiden Strömungen gegenseitig. Aber das muss bestimmt nicht so bleiben.“
Nicht herumtaktieren
Das Wochenmagazin Respekt findet, dass die Fehler, die Drahoš in seinem Wahlkampf unterlaufen sind, nicht entscheidend waren, „sondern die Mobilisierung der Anhänger der Politik Zemans. Drahoš gewann in der zweiten Runde ebenso viele Stimmen wie Zeman vor fünf Jahren. Damals reichte das zum Sieg, diesmal nicht. (…) Ausschlaggebend waren die Werte der Gesellschaft. Die Leute wählten einen Weg, dem sie vertrauen. Das muss man sich vergegenwärtigen, bevor man sich fragt, was uns in den folgenden Jahren erwartet. Auch weiterhin wird der Teil der Gesellschaft, der Zeman gewogen ist, einen dominanten politischen Einfluss haben. Er wird den Präsidenten unter Kontrolle haben, die Regierung und die Mehrheit im Parlament. Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass dies zur Beruhigung der Lage führt, denn der Zemansche Mainstream wird auch in Zukunft dauernd klagen, er müsse sich irgendwelcher Demütigungen durch seine Feinde erwehren. Und er wird vor allem mehr wollen, denn mit dem Essen wächst der Appetit. Einfühlsame Reaktionen und Selbstkritik helfen hier nicht. (…)
Was jetzt sinnvoll ist, das ist offener über die eigenen Werte und Standpunkte zu sprechen. Keine Furcht haben und nicht herumtaktieren, jemand könnte sich abgestoßen fühlen oder ärgern, denn die Gegenseite hat solche Bedenken auch nicht. Es ist notwendig, sich auf die besten Definitionen dieser Ideen zu konzentrieren und auf deren Einbringen in den öffentlichen Raum. Man kann die Populisten nicht Jahre wirken lassen ohne größeren Widerstand und dann hoffen, dass eine glühende Kampagne von ein paar Wochen Abhilfe schafft. Wenn wir den Charakter der hiesigen Debatten und politischen Kultur bedenken, dann sind 2.701.206 Stimmen für Jiří Drahoš ein kleines Wunder. Und sie sind vor allem ein großes Versprechen.“
Wütende Gesellschaft
Die Wirtschaftszeitung sieht die Zukunft düster: „Der Präsident muss sich nach dem Wortlaut der Verfassung gegenüber niemandem verantworten, und es ist gut möglich, dass wir jetzt alle Bedeutungen dieser Worte kennenlernen. Es wird drei Motive geben: sich an denen zu rächen, an denen er sich noch nicht gerächt hat; diejenigen zu belohnen, die ihm geholfen haben; und die Macht zu genießen, wie immer es geht. Praktisch bedeutet das: Übernahme der Macht in der Sozialdemokratie. Beteiligung an der Regierungsbildung. Versuch der Einführung eines verdeckten Präsidialsystems, in dem der Präsident zur politischen Schlüsselfigur wird. Den Leuten aus seiner Umgebung die Geschäfte erleichtern. Und in der Politik alle Richtungen verfolgen, besonders diejenigen nach Osten.
Falls diejenigen, die Miloš Zeman gewählt haben, denken sollten, er werde ihnen in irgendeiner Weise helfen, dann irren sie sich. Zum einen fehlen ihm dazu die Kompetenzen. Aber vor allem aber geht es darum, dass Politiker des Typs Zeman eine unzufriedene, aufgewühlte, wütende Gesellschaft brauchen. Kurz, sie brauchen negative Emotionen, die sie dann politisch ausnutzen. (…) Das Maximum, das wir noch hoffen können: Miloš Zeman bremst am Ende die Befürchtung, er könnte im Geschichtsbuch eine negative Figur abgeben. Und er wird wohl nicht derjenige sein wollen, der die Tür zum Austritt aus der EU öffnet.“
Am längeren Hebel
Die Volkszeitung vermutet, die zweite Amtszeit könne „eine Stärkung von Zemans Position in der Innenpolitik bringen. Die Allianz mit Andrej Babiš verhalf dem Präsidenten deutlich zu seiner Wiederwahl, indem sie ihm die wichtigen Stimmen der ANO-Wähler einbrachte. Andrej Babiš verdankt dem Pakt einstweilen den Posten des Premiers, wenn auch jetzt ohne parlamentarisches Vertrauen und in Demission. Miloš Zeman hat vor den Wahlen wissen lassen, er werde Babiš einen zweiten Versuch zur Regierungsbildung zubilligen und ihm auch genügend Zeit gönnen, um die erforderliche Unterstützung im Parlament zu organisieren.
Daran wird sich wohl nichts ändern, es sei denn, dass Zemans Wahlsieg Andrej Babiš am Ende noch bitter aufstoßen wird. Denn der wiedergewählte Präsident benötigt den ANO-Vorsitzenden im Grunde zu nichts mehr, beziehungsweise er benötigt die Stimmen der ANO-Wähler nicht mehr. Überdies sitzt Zeman jetzt am längeren Hebel, und Eingriffe in die Regierungsbildung liebt er über alles. Zeman wird wohl bestrebt sein, die Burg de facto zu einer weiteren Regierungspartei zu machen und sich selbst zum faktischen Ko-Vorsitzenden der Regierung.“
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“