Das zottelige Aquarium
Sie nennen sich Guerilla-Strickerinnen und haben Verbündete fast auf der ganzen Welt. Fünf Pragerinnen kleben selbstgestrickte Tiere in den öffentlichen Raum und wollen damit ein bisschen Ruhm ernten
17. 7. 2013 - Text: Martin Nejezchleba
Es klingt gefährlich und subversiv. Sie nennen sich Guerillas oder Partisaninnen. Ihre bunten Bomben basteln sie zu Hause oder auf langen Fahrten in der Metro. Das Ergebnis ihrer minutiösen Arbeit ist flauschig und wird auf offener Straße installiert – möglichst viele Menschen sollen erfasst werden.
Tatort Uferpromenade. Der Himmel über der Moldau färbt sich feierabendrot. Da stehen sie, mitten auf der pulsierenden Flaniermeile. Die Guerillas grinsen und tratschen. Auf dem Kopfsteinpflaster breiten sie ihr gehäkeltes Arsenal aus: 50 bunte Fische. Die fünf Frauen sind Yarn Bomber, also Garnbomberinnen, oder auch Guerilla Knitter, Guerilla-Strickerinnen. Die Stimmung ist ausgelassen. Auf diesen Moment haben sie sich monatelang vorbereitet. „Wollen wir mit dem Vandalismus beginnen?“, fragt Hana und schiebt ihre rosa Sonnenbrille zurück auf die Nasenwurzel.
Was die einen Vandalismus nennen, ist für die anderen ein Ausdruck ihrer Beziehung zur Stadt. „Es geht darum, wie man den urbanen Raum begreift“, erklärt eine der Bomberinnen. Sie trägt einen Kurzhaarschnitt und stellt sich als die Guerilla-Gärtnerin vor. Entweder man sei einfach nur in der Stadt. Oder man begreife sich als aktiver Bestandteil des urbanen Raums und gestaltet ihn mit. Zu diesem Lebensgefühl gehört für sie nicht nur das Häkeln für die Öffentlichkeit. In Parks und auf Grünflächen pflanzt sie Gemüse und Gewürze. Den Begriff öffentlicher Raum nimmt sie beim Wort. „Ich begreife das hier als Verschönerung der Stadt“, erklärt eine andere Partisanin, Veronika. Guerilla Knitting, das ist Straßenkunst, so etwas wie Graffiti, nur gestrickt eben.
Omas Flausen
Die Bewegung ist jung. 2005 hat die Amerikanerin Magda Sayeg die Türklinke ihres Geschäfts umgarnt. Zunächst hat sie sich und Passanten damit eine Freude gemacht. Damit hat sie einen globalen Trend ausgelöst. Über Facebook und Blogs schwappten Bilder von immer raffinierteren Wollinstallationen über den Atlantik, der Trend fand Nachahmer in London und bald darauf auch auf dem europäischen Festland. Diesen Sommer wurde bereits der vierte Internationale Yarn Bombing Day gefeiert. So die verkürzte Geschichte des Guerilla Knitting, wie sie im Internet tradiert wird.
Auch die Prager Gruppe um Hana und Veronika hat über das Internet zueinander gefunden. Beeindruckt von den bunten Straßenkunstwerken im Ausland hatten die fünf zunächst jede für sich gehäkelt und schließlich über Facebook nach Gleichgesinnten gesucht. Nun nennen sie sich „Úlet ovčí babičky“ – frei übersetzt heißt das in etwa „Die Flausen der Schafsoma“. Der Name bezieht sich auf eine Figur aus dem tschechischen Sandmännchen, eine Oma, die beim Häkeln Geschichten erzählt. Die Flausen der fünf Prager Guerillas sind kunterbunt. Sie kleiden Statuen in wollig-warme Outfits, zieren Treppenstufen und Laternenpfähle. Sie bringen Bäume zum Erblühen, Anfang März, wenn die Stadt grau und kalt ist.
Das höchste der Gefühle: Passanten, denen das gehäkelte Graffiti ein Lächeln auf die Lippen zaubert. „Eigentlich geht es darum, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Das sind unsere fünf Minuten Ruhm.“ Veronika kichert. Eine kleines Mädchen blickt mit großen, runden Augen auf die bunten Fische. Bald klebt sie selbst einen Fisch auf die Kaimauer. Ihre Eltern diskutieren aufgeregt mit den Guerillas, wo sich ein türkisblauer Seestern am besten machen würde. Bald scharen sich Zuschauer um die Häklerinnen, sie fotografieren sich mit dem halbfertigen Kunstwerk und kommen ins Gespräch.
Ruhm im Revier
Ein schwarz gekleideter Mann meldet sich zu Wort: „Haben Sie eine Genehmigung dafür?“ Hanas spontane Antwort: „Ja, von der Stadtverwaltung.“ Der Sicherheitsangestellte gibt die Information durch sein Handy weiter und gibt sich zufrieden. Adrenalin gehört auch dazu, sagt Veronika. Zwar sind die Schafsomas noch nie in Konflikt mit den Gesetzeshütern geraten, streng genommen ist ihre Kunst jedoch verboten – sie ziert fremdes oder öffentliches Eigentum.
Nicht nur die Illegalität hat Guerilla Knitting mit der Graffiti-Szene gemein. Jede Häklerin entwickelt mit der Zeit ihre eigene Handschrift, von Eingeweihten werden ihre Kunststücke erkannt und kommentiert. Das geschieht heute vor allem über Soziale Netzwerke. Die Schafsomas dokumentieren ihre Aktionen, die Fotos werden auf dem Facebook-Profil der Gruppe gepostet. „Gemeinsam haben wir auch, dass wir gerne in der Nähe unserer Wohnungen tätig sind“, sagt die Gärtnerin. Sie markieren ihre Reviere. Grafittikünstler benutzen dazu Sprühdosen, die Schafsomas Nadel und Garn.
Urbanes Gänserupfen
Von ihren – meist männlichen – Sprayer-Kollegen ernten die Guerilla-Häkler Spott. Beschäftigungstherapie für Schwangere nenne man das, für Kunst sei das zu apolitisch, gibt Hana die Kritik aus der Streetart-Community wieder. Die Schafsomas lachen darüber. Irgendwie sei das schon Frauensache: „Für mich ist das so eine Art Gänserupfen“, sagt Hana, die tagsüber in einer Bank arbeitet, „man trifft sich, macht gemeinsam eine meditative Arbeit und redet und redet.“ Die Vorbereitungen für eine Installation aus Wolle können Monate dauern – an Abenden treffen sich die fünf Guerillas und ziehen gemeinsam ihre Maschen. Für die Wolle recyceln sie alte Pullis, über Annoncen bekommen sie Reste geschenkt. Dass von den Kunstwerken oft nach wenigen Monaten nichts mehr übrig ist, ärgert die Fünf nicht. Schön sollen die Installationen sein. Wenn die Wolle ausbleicht oder zerfetzt nehmen die Guerillas sie wieder ab.
Hana holt eine Plastikflasche mit Rotwein aus ihrer Handtasche. Fünfzig bunte Wassertiere zieren die Kaimauer, Kinder staunen, Fotoapparate klicken. Die Schafsomas feiern Vernissage. Einen Namen braucht das Kunstwerk noch. Wenige Schlücke aus den weißen Plastikbechern später ist der richtige Einfall ausgesprochen: Das zottelige Aquarium. Erste Bilder wandern per Smartphone auf Facebook. Die Guerillas plaudern mit den Passanten. Sie kosten sie aus, ihre fünf Minuten Ruhm.
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