Zuversichtlich in die Wahlen

Zuversichtlich in die Wahlen

Die Christdemokraten nehmen sich ein Beispiel an der CDU und wollen verjüngt ins Abgeordnetenhaus einziehen

11. 9. 2013 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: čtk

 Mehr als acht Millionen Tschechen sind aufgerufen, am letzten Oktober-Wochenende ihre Stimme bei den vorgezogenen Parlamentswahlen abzugeben. In den folgenden Ausgaben stellt die „Prager Zeitung“ einzelne Parteien vor, die gute Chancen haben in der kommenden Legislaturperiode im Abgeordnetenhaus vertreten zu sein. Im ersten Teil der Serie steht die KDU-ČSL im Mittelpunkt.

Die vergangenen Parlamentswahlen stellten für die Christdemokraten eine Zäsur dar. Denn zum ersten Mal in ihrer langen Geschichte verfehlte die Partei den Sprung in das Abgeordnetenhaus; mit 4,4 Prozent der Wählerstimmen scheiterte sie damals knapp an der Fünfprozenthürde. Zuvor noch an der Regierung beteiligt, ereilte sie das gleiche Schicksal wie jenes der Grünen, die noch stärkere Verluste erlitten hatten. Einer der Gründe: Sie gehörte der im Volk unpopulären und knapp mehrheitsfähigen Regierung von Premier Mirek Topolánek (ODS) an, deren vorzeitiges Ende durch ein destruktives Misstrauensvotum im Frühjahr 2009 besiegelt worden war.

Vier Jahre später könnten die Christdemokraten – laut aktuellen Umfragen – in die untere Parlamentskammer zurückkehren. Zumindest räumen ihnen die meisten Meinungsforschungsinstitute größere Chancen ein als den Grünen, den Zeman-Anhängern (SPOZ), VV und dem konservativen Wahlbündnis von Jana Bobošíková.

Die Christliche und Demokratische Union – Tschechoslowakische Volkspartei, so die offizielle Bezeichnung der 1919 durch den Zusammenschluss mehrerer christlich orientierter Parteien gegründeten KDU-ČSL, könnte also von der parlamentarischen Auszeit profitieren. Ein weiterer Pluspunkt: Im Gegensatz zu den jüngst entstandenen Gruppierungen wie ANO (von Milliardär Andrej Babiš), Úsvit (von Senator Tomio Okamura) oder LES (von Ex-Grünen-Chef Martin Bursík) kann sie auf eine lange Tradition zurückblicken und mit den Stimmen einer im mährischen Landesteil beheimateten Stammwählerschaft rechnen.

Jung und unabhängig
Die Skandale um den einstigen Minister und Parteivorsitzenden Jiří Čunek sowie den schmerzvollen Weggang der populären Mitglieder Vlasta Parkanová und Miroslav Kalousek, die gemeinsam mit Karel Schwarzenberg die Partei TOP 09 gründeten, hat die Partei hinter sich gelassen.

Nach der historischen Niederlage bei den Parlamentswahlen im Jahr 2010 entschied sich die KDU-ČSL für einen Strategiewechsel. Nicht mehr namhafte Personen sollten die Partei repräsentieren, das Programm rückte in den Vordergrund. So beerbte der eher unbekannte Veterinärmediziner Pavel Bělobrádek den Wahlverlierer und ehemaligen Außenminister Cyril Svoboda im Amt des Parteivorsitzenden. Eine Zusammenarbeit mit Parteien, deren Programme sich nicht mit der „christlich-konservativen Wertepolitik“ der KDU-ČSL vereinbaren lassen, lehnt Bělobrádek ab. So erteilte er jüngst Bursíks LES-Partei und der „Bewegung für Sport und Gesundheit“ („Hnutí pro sport a zdraví“) von Ex-Bildungsminister Josef Dobeš eine Absage, die sich selbst als mögliche Partner der Christdemokraten ins Spiel brachten.

Eine gemeinsame offene Liste mit anderen Parteien werde es mit ihm nicht geben. „Wir geben unabhängigen Kandidaten eindeutig den Vorrang“, erklärte Bělobrádek. Seine Partei hätte in den vergangenen vier Jahren einen Generationswechsel vollzogen – denn nur die junge Generation könne die bei der Bevölkerung in Misskredit geratene tschechische Politik zum Positiven verändern, sagte der 36-jährige Parteichef bei der Vorstellung der Wahlkampagne in der Prager Neustadt. Für sich werben will die KDU-ČSL dann aber doch mit der 60-jährigen Zuzana Roithová. Das Konterfei der Europaabgeordneten und ehemaligen Präsidentschaftskandidatin – im ersten Wahlgang erhielt sie knapp fünf Prozent der Stimmen und rief danach zur Wahl Karel Schwarzenbergs auf – schmückt bis Ende Oktober einige der landesweit aufgestellten gelben Plakatwände. Für das Abgeordnetenhaus wird sie selbst jedoch nicht kandidieren.

Und noch eine erfolgreiche Politikerin soll den tschechischen Christdemokraten über die Fünfprozenthürde verhelfen: Bundeskanzlerin Angela Merkel von der nach den Worten Bělobrádeks „befreundeten Schwesterpartei“ CDU. Einer der Wahlslogans lautet „Wollen Sie es so wie in Deutschland haben, dann wählen Sie auch wie in Deutschland“. Ein für Dienstag geplantes Treffen mit dem Chef der KDU-ČSL in Berlin hatte die Bundeskanzlerin wegen des Bundestagswahlkampfs zwar kurzfristig abgesagt, es soll aber „zeitnah“ nachgeholt werden. Sollte es tatsächlich vor den tschechischen Parlamentswahlen stattfinden, wäre es ein publikumswirksamer und durchaus gewinnbringender Auftritt.

Die Christlich Demokratische Union Deutschlands sei das große Vorbild seiner Partei, äußerte sich Bělobrádek in den vergangenen Wochen wiederholt. Vor allem in der Steuer- und Wirtschaftspolitik orientiere man sich an der CDU.

Und wie steht die KDU-ČSL zur TOP 09 und seinem einstigen Parteikollegen Kalousek? Nach außen hin verhalte er sich wie ein rechts gerichteter Politiker, doch als Finanzminister hätte er die Steuern erhöht, ein Wirtschaftswachstum verhindert und die Zentralisierung des Staates vorangetrieben, so Bělobrádek. Zudem fehle der Partei das Gespür für Sozialverträglichkeit. „Von der Papierform her stimme ich in vielen Punkten der TOP 09 zu. Doch die tatsächlich betriebene Politik unterscheidet sich von diesen Versprechen“, sagte Bělobrádek in einem Gespräch mit der Tageszeitung „Lidové noviny“.

Hohes Koalitionspotential
Die KDU-ČSL versteht sich als Partei der politischen Mitte mit festen moralischen Grundsätzen. Zu ihren Prioritäten gehört die stärkere Integration in die Europäische Union, die Unterstützung von Familien und die Förderung der ländlichen Gebiete. Zudem verlangt sie eine wirksamere Korruptionsbekämpfung. Ihre konservativen Standpunkte wurden in der Vergangenheit bei Gesetzesvorschlägen für Abtreibungsverbote, ihrem Widerstand gegen die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare oder gegen jedwede Entkriminalisierung von Drogenkonsum deutlich. Weil sich die Christdemokraten in die politische Mitte einordnen lassen, weisen sie – sowohl nach links als auch nach rechts – ein hohes Koalitionspotential auf, wobei die Tendenzen nach rechts deutlich stärker ausgeprägt sind. In der Vergangenheit war sie sowohl an von der ODS als auch von der ČSSD geführten Regierungen beteiligt.

Darüber, dass sich die KDU-ČSL im Herbst erneut in dieser Rolle wiederfinden könnte, spricht offiziell niemand. Der stellvertretende Parteivorsitzende Marian Jurečka sagte während der Vorstellung der Wahlkampagne „Wir bringen das Land in Ordnung“ („Dáme zemi do pořádku“), „wir wollen unsere eigenen Lösungen aktiv und selbstbewusst durchsetzen und unser eigenes Wahlprogramm verwirklichen, wir wollen kein Steigbügelhalter anderer Parteien sein.“ Jurečka und Bělobrádek haben eigenen Worten zufolge das Hauptproblem der tschechischen Politik erkannt: Sie befasse sich nicht mit der Lösung von Problemen der Bürger, sondern mit ihren eigenen. Die Politiker schauten nur auf sich selbst, nicht auf das alltägliche Leben.

Die KDU-ČSL hat verstanden, die Niederlage des Jahres 2010 für sich zu nutzen. Da sie in der zurückliegenden, von Sparmaßnahmen und Politskandalen geprägten Legislaturperiode keine Abgeordneten stellte, wirkt das Symbol der Sonnenblume, mit dem sie in den Wahlkampf gezogen ist, gleich glaubwürdiger. „Sie steht für Hoffnung und Zuversicht“, meint Jurečka.