Zwischen Hahn und Showpark

Zwischen Hahn und Showpark

Auf den Spuren „öffentlicher Häuser“ in Prag – von Egon Erwin Kischs Erfahrungen im „Salon Goldschmied“ zur modernen Prostitutionsfabrik

26. 6. 2013 - Text: Aleš KrupaText: Aleš Krupa; Foto: Nina J.G.

 

Egon Erwin Kisch folgte in seinem Beruf einer Maxime, die bis heute gilt. „Ein Reporter hat keine Tendenz, hat nichts zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt, er hat unbefangen Zeuge zu sein und unbefangene Zeugenschaft zu liefern“, befand er im Vorwort seines Buchs „Der Rasende Reporter“, dessen Titel zu seinem Markenzeichen wurde.

Zugleich trieb ihn eine spezielle Eigenschaft an: grenzenlose Neugier. Geradezu zwanghaft müsse er jede Rumpelkammer und jeden Stoß alter Papiere durchsuchen, schrieb Kisch über sich selbst, jedes „Eintritt verboten“ verlocke ihn zum Eintritt und jede Geheimhaltung zur Nachforschung. So ergab sich zwangsläufig, dass der Prager Journalist auch in Gaststätten und Spelunken recherchierte, die Sammelbecken „für Frühaufsteher wie für Spätschlafengeher“ waren. Und dass er dabei eines Tages im „Salon Goldschmied“ ankam, dem berühmtesten Freudenhaus von Prag.

Seit Jahrhunderten bekämpfen Prager Verwaltungen die Prostitution in der Stadt. Darüber fand Kisch für sein Buch „Hetzjagd durch die Zeit“ schon vor rund 90 Jahren unzählige vergilbte Schriften im Stadtarchiv. Als die „käufliche Liebe“ zum Ausgang des Mittelalters gerade wieder einmal untersagt wurde, bildete Smíchov ein Zentrum dafür. Und das ist anscheinend auch heute noch so, zumindest nach einer Eintragung im Handelsregister. Dort ist seit 7. April 1995 eine Firma namens Eroc registriert, die in der Straße Petřínská im fünften Prager Bezirk residiert. Sie betreibt mittlerweile die größten Bordelle in Prag. Solche Häuser, schrieb Kisch, waren früher daran zu erkennen, dass sie einen Hahn als Wappen trugen. Heute steht ein buntes Schild mit der ebenso schlichten wie unverfänglichen Bezeichnung „Showpark“ an ihrer Tür.

Als schlimmste Kupplerin galt im späten 16. Jahrhundert eine Frau, die ihre Dirnen laut Kisch prügelte und ihnen nicht einmal das übliche Viertel vom Liebes-lohn ließ. Angeblich wurde sie deshalb zur Strafe ertränkt.

Derart massive Sanktionen hat der Geschäftsführer von Eroc nicht mehr zu fürchten, auch wenn er sehr wohl die „Erzielung von Gewinn als Schlüssel zu unserem Erfolg“ sieht. So ist es zumindest auf seiner Homepage zu lesen. Persönlich will er sich über seine Firma nicht näher äußern. Diese hat ihren Sitz mittlerweile nicht mehr in dem hohen gelben Haus im Stadtteil Smíchov, sondern in einem grauen Business-Gebäude in der Přístavní-Straße in Holešovice. Praktischerweise nicht weit entfernt vom großen Marktgelände, wo das Unternehmen in Halle 18 einen von zwei Showparks führt.

Mehr als der Chef erzählen dafür Angestellte, wenn auch nur unter vier Augen. Nein, geprügelt werde hier selbstverständlich niemand, sagt ein Mitarbeiter, der anonym bleiben will. Auch zur Prostitution werde keiner gezwungen. Auf seiner Internetseite behauptet das Unternehmen: „Wir schaffen menschenwürdige Arbeitsbedingungen und einen Umgang mit Respekt und Würde.“

Zimmer wie Schiffskabinen
Je nach ihrer Tüchtigkeit ergab sich der hierarchische Rang einer Dirne im „Goldschmied“, erzählt Kisch, und die Besten hatten sogar ein Recht darauf, mit „Sie“ angesprochen zu werden.

Im „Showpark“ mieten sich Frauen „wie selbständige Unternehmerinnen“ ein Zimmer. Dort sind sie oft „fünf Tage pro Woche wie in einer Fabrik“ tätig. Da alle Profis seien, sollen einige von ihnen so viel verdienen, dass sie sich manchmal eine längere Pause gönnen. „60.000 Kronen im Monat sind für mich lächerlich wenig“, bestätigt tatsächlich eine Frau, die sich Alena nennt und ihren Worten nach 30 Jahre alt ist. Etwa die Hälfte der Prostituierten im „Park“ sind nach Auskunft vor Ort Tschechinnen. Andere Blondinen, Dunkelhaarige und Farbige kommen aus der Ukraine, Rumänien oder Ungarn.

Damit setzen sie eine langjährige Tradition fort. Denn auch im „Goldschmied“ arbeiteten Frauen aus Ungarn, Deutschland oder Österreich, da selbst Freudenhäuser laut Kisch ein festes Ensemble „nach Bildung, Statur, Nationalität, Haar- und Gesichtsfarbe“ benötigten. Deshalb pflegte das Etablissement einen „intimen Geschäfts- und Austauschverkehr“ mit anderen Städten.

„Einige schlafen auch nachts hier“, erklärt ein Mitarbeiter des Showparks, „und eine hat sogar ein Zimmer für ein halbes Jahr fest als ihre Wohnung gebucht.“ Wobei diese Zimmer eher kleinen Kabinen auf einem Schiff gleichen.
Auch im „Goldschmied“ dienten einfache Kammern den Frauen sowohl als Arbeits- als auch als Schlafzimmer. Sie lagen im dritten Stock, die Separees im Erdgeschoss, und in der zweiten Etage gab es eine Doktorstube für ärztliche Untersuchungen. Gleichwohl blieben Gäste skeptisch. Man werde sich hinterher bei Hofrat Philipp Pick wieder treffen, dem Vorstand der dermatologischen Klinik, sagte ein Freier zum anderen, bevor sie mit zwei jungen Mädchen in den Zimmern im „Goldschmied“ verschwanden.

„Ich weiß nicht, ob das bei uns ein Problem ist“, wiegt einer im Showpark den Kopf hin und her. „Die Mädchen gehen praktisch jede Woche zur Kontrolle“, sagt ein anderer und schließt deshalb Erkrankungen von Gästen oder gar eine Aids-Gefahr aus. „Aber wir haben natürlich keine Ahnung, was in den Zimmern passiert“, schränkt ein Dritter ein. „Ob sich eine Frau untersuchen lässt, bleibt hier jeder selbst überlassen, keiner achtet darauf“, klärt Alena auf. Sie hat zuvor als Tänzerin und anschließend als Prostituierte gearbeitet, auch im Ausland. Ihr drastisches Fazit nach etlichen Berufsjahren: „Wenn ich nicht immer ein Kondom verwenden würde, wäre ich wohl schon tot!“
Ein Mitarbeiter ist auch in anderer Hinsicht skeptisch: „Ich gehe davon aus, dass die meisten Frauen bei uns Drogen nehmen.“ Sonst sei der Job auf Dauer für sie kaum auszuhalten. Alena widerspricht heftig.

Internationale Kundschaft
Im „Goldschmied“ versammelte sich die Prager Bohème nach der Sperrstunde in den städtischen Kaffeehäusern. Auch Mitglieder von Regierung, Adel und Armee gingen ein und aus. Und die Prominenz. Gustav Mahler zählte ebenso zu den Stammgästen wie Franz Werfel und Christian Morgenstern. Der berühmte Theaterdirektor Angelo Neumann schloss hier einen Vertrag mit einem talentierten Sänger ab, obwohl er sonst sogar Cafés mied. Gerüchten zufolge soll in der Prager Gemsengasse (Kamzíkova), in der das „Goldschmied“ lag, einmal sogar ein Erzherzog an einer „Gemsenjagd“ teilgenommen haben.

Auch im Showpark verkehren zahlreiche Besucher regelmäßig. Doch gehören die meisten heute eher zu Tschechiens mittlerer Beamten- und Arbeiterschaft. Ältere Glatzköpfe vermischen sich mit jungen Kappenträgern, und Testosteron schwitzende Muskelmänner mit einem internationalen Publikum aus Japan, Italien oder Spanien. „Am Wochenende geht es hier zu wie in einem Hühnerstall“, staunt selbst ein Beschäftigter. Nicht nur bei den Frauen, auch am Kartentisch und den Glücksspielautomaten in einer Lounge, die zwischen den beiden Gebäudetrakten mit den Zimmern liegt.

Herren der Gesellschaft verließen nicht selten langweilige Bälle und stahlen sich ins „Goldschmied“, weil es dort lustiger war, wie Kisch ausführt. Dabei war es nur eines von zahlreichen Amüsierlokalen in Prag und musste mit Etablissements wie der „Blauen Nudel“ oder dem „Salon Dessort“ konkurrieren. „In Prag gibt es Hunderte von Clubs“, berichtet Alena über die konstante Entwicklung des Gewerbes, „nur sind die anderen diskreter und versteckter, nicht so exponiert wie hier.“

Durch Zäune abgetrennt
Der „Showpark“ wurde bereits im Jahr 1999 eröffnet, damals noch als „RedLight Prag“. 2004 kam er in Halle 18 unmittelbar neben dem Marktgelände in Holešovice unter, getrennt durch einen Zaun und separaten Eingang. 2009 wurden Lounge und Spielclub etabliert, 2011 dann Halle 18 renoviert, dazu kam noch ein Nachtklub im Erdgeschoss. Für den Eintritt in das Areal werden 250 Kronen für 24 Stunden verlangt.

Das „Goldschmied“ erlebte seine beste Zeit im Jahre 1866 durch den Krieg Preußens mit Österreich und die Besetzung Prags durch preußische Truppen. Erst 1920 musste der Betrieb angeblich auf Weisung der Behörden schließen.

Im „Showpark“ laufen die Geschäfte heute offenbar ebenfalls gut, denn Eroc hat im Juli letzten Jahres einen zweiten „Park“ nahe des Verkehrszentrums I.P. Pavlova in einem ehemaligen Vier-Sterne-Hotel eröffnet.
„Ich werde in dem Beruf so lange arbeiten, wie ich schön bin“, fügt Alena lapidar an. Wobei ihr Job schon nächstes Jahr zu Ende sein könnte, denn wieder einmal plant der Staat, Steuern auf die Prostitution zu erheben. „Es stand schon in der Zeitung“, glaubt sie diesmal fest daran.

Noch bevor der Betrieb im „Goldschmied“ endete, hatte eine Prostituierte bereits einen Hotelier geheiratet, eine andere arbeitete ganz bürgerlich als ärztliche Assistentin und „Fritzi lebte wieder als unschuldiges Mädchen“ bei ihrem Vater in Thüringen, so Kisch.

In einer Rezension zu dessen Buch „Die Abenteuer in Prag“ lobte Joseph Roth, man habe den Eindruck, dass immer alle irgendwie mit dem Autor verwandt seien: „Katinka und Pepinka, die Arbeiter, Sträflinge, Bischöfe, Dichter und Primatoren, die Mädchen der Straße und der Besserungsanstalten.“

Für Kisch selbst hatte dies logische Gründe. Denn in den Stätten „für Frühaufsteher wie für Spätschlafengeher“ trafen sich all jene, die „das Bett scheuten oder scheuen mussten“, wie er in seinem berühmten Text „Die Himmelfahrt der Galgentoni“ ausführte. Und das waren neben Kellnern, Musikanten, Säufern, Obdachlosen, Zuhältern und Zeitungssetzern eben auch Prostituierte und Reporter.

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