Zwischen Krise und Versöhnung
Sieben Ereignisse, die Tschechien in diesem Jahr bewegten
19. 12. 2012 - Text: Marcus HundtText: mh; Foto: čtk
Im Lande herrsche eine schlechte Atmosphäre und in die Wirtschaft solle man keine allzu großen Hoffnungen setzen. Tschechiens Staatsoberhaupt Václav Klaus bewies mit seiner Neujahrsrede Weitsicht. Denn das Jahr 2012 war einerseits von der Unzufriedenheit der Bürger mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen im Land geprägt, andererseits schlitterte die heimische Wirtschaft in eine leichte Rezession, in der sie sich auch noch im kommenden Jahr befinden wird.
Gegen die Regierung
Die Versuche der Mitte-Rechts-Regierung, der wirtschaftlichen Talfahrt mit rigiden Sparmaßnahmen und einer unpopulären Reformpolitik entgegenzuwirken, quittierte die Bevölkerung mit öffentlichen Protesten. Am 21. April versammelten sich mehr als 100.000 Demonstranten auf dem Prager Wenzelsplatz – zur größten Kundgebung seit dem Ende der sozialistischen Tschechoslowakei. Mit ihrer Botschaft „Stop vládě“ („Ein Ende der Regierung“) forderten sie ein Ende der „asozialen Reformen“ und vorgezogene Neuwahlen.
„Die Schuldenfalle wird instrumentalisiert, um stets weitere Kürzungen und Steuererhöhungen, die immer nur die sozial Schwachen treffen, durchzusetzen“, sagte Jiří Šteg, damals Sprecher der Bürgerinitiative „ProAlt“, die den Massenprotest mitorganisierte.
LIDEM statt VV
Die Regierung hielt nicht nur dem wachsenden Unmut der Bevölkerung stand, sie konnte sich im Juli auch dem insgesamt vierten Misstrauensantrag der oppositionellen Sozialdemokraten seit ihrem Amtsantritt 2010 erwehren.
Dass man sich auch in der größten Regierungskrise an der Macht halten kann, hatten die Staatsvertreter bereits im Frühjahr eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Mit zahlreichen Korruptionsskandalen hatte sich der kleinste Koalitionspartner VV – auf dessen Agenda paradoxerweise der Kampf gegen Korruption an oberster Stelle stand – selbst ins Abseits geschossen. Der Koalitionsvertrag wurde aufgelöst und das Fortbestehen der Regierung von Petr Nečas (ODS) nur dank einer neuen Übereinkunft mit den VV-Abtrünnigen um Karolína Peake – die sich bald zur Partei LIDEM formierten – gesichert.
Ein Weinkarton voller Geld
Für die größte Schmiergeld-Affäre dieses Jahres sorgte allerdings der (mittlerweile ehemalige) Sozialdemokrat David Rath. Monatelang hatte die Polizei den Politiker und sieben seiner Komplizen beobachtet, Telefonate abgehört und Videos aufgezeichnet. Am 15. Mai klickten schließlich die Handschellen. Polizisten der Antikorruptionseinheit hatten Rath auf frischer Tat ertappt, als er gerade einen Weinkarton voller Bargeld, umgerechnet 300.000 Euro, von einer mitangeklagten Krankenhaus-Leiterin geholt hatte. Unter den Bodendielen seines Hauses fanden sich dann weitere Millionen – allem Anschein nach alles veruntreute EU-Subventionen.
Wenige Tage vor der Festnahme hatte Rath im Abgeordnetenhaus der Regierung noch vorgeworfen, den „Kampf gegen die Korruption ins Lächerliche zu ziehen“. Nun hat der einstige Abgeordnete, Kreishauptmann und Minister wenig zu lachen. In Untersuchungshaft sitzend wartet er darauf, dass ihm der Prozess gemacht wird.
Rückkehr der Roten
Der Fall Rath warf auch auf seine frühere Partei, die sich bis dato eines „sauberen Images“ rühmte, ein schlechtes Licht. Die Umfragewerte für die Sozialdemokraten sanken genauso wie die Zahl ihrer Kreishauptmänner nach den Regionalwahlen im Oktober. Zwar gingen sie daraus als stärkste Partei hervor, doch als Sieger konnte sich eine andere politische Macht fühlen: Die Kommunistische Partei (KSČM) erhielt über 20 Prozent der Stimmen, sitzt nun in einigen Kreisregierungen, Oldřich Bubeníček wurde am 20. November im Kreis Ústí nad Labem zum ersten kommunistischen Hauptmann seit Bestehen der Tschechischen Republik gewählt. Den Triumph der Opposition und die Niederlage der Regierungsparteien bei den Kreis- und Senatswahlen bezeichnete Premier Nečas später lapidar als ein „Ergebnis der notwendigen Reformpolitik“.
Symbolische Gesten
Im deutsch-tschechischen Verhältnis hatte Bundespräsident Joachim Gauck im Juni, bereits vier Monate vor seinem Antrittsbesuch in Prag, ein positives Zeichen gesetzt. Anlässlich des 70. Jahrestags der Auslöschung der Dörfer Lidice und Ležáky übermittelte Gauck dem tschechischen Präsidenten ein Schreiben, das hierzulande breite Anerkennung erfuhr. Darin erkannte er Deutschlands „geschichtliche Verantwortung“ für die von den Nationalsozialisten begangenen „unbarmherzigen Verbrechen“ an, die ihn mit „tiefer Betroffenheit und Scham“ erfüllten.
Am 10. Oktober besuchte der Bundespräsident als erstes deutsches Staatsoberhaupt den Ort, an dem 1942 mehr als 170 Tschechen der Vergeltungsmaßnahme für das Attentat auf den Stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich zum Opfer gefallen waren – und dies gemeinsam mit seinem tschechischen Amtskollegen Václav Klaus. Ein historischer Moment.
Streit beigelegt
Ein jahrzehntelanger Dauerstreit – zwischen Kirche und Staat, zwischen Regierung und Opposition – fand Ende November sein Ende. Mit einer knappen Mehrheit votierte das Abgeordnetenhaus für die Rückgabe des vom kommunistischen Regime enteigneten Kircheneigentums. Die Regierungsparteien überstimmten damit das Veto des von den Sozialdemokraten dominierten Senats. In den kommenden 30 Jahren sollen nun umgerechnet rund 2,4 Milliarden Euro an die Kirchen und Glaubensgemeinschaften fließen. Da Präsident Klaus trotz einiger Vorbehalte kein Veto gegen das Gesetz einlegte – auf seine Unterschrift verzichtete er jedoch – konnte Tschechien als letztes postkommunistisches Land in Europa einen Ausgleich mit der Kirche finden und die Regierung einen Erfolg verbuchen; gleichwohl er sie beim Volk nicht beliebter macht.
Leere Regale
International dürfte ein anderer Entschluss das meiste Aufsehen erregt haben. Am 14. September verkündete Gesundheitsminister Leoš Heger (TOP 09) ein Verkaufs- und Schankverbot für Getränke mit mehr als 20 Prozent Alkoholgehalt. Die Regierung sah sich zu der Maßnahme gezwungen, nachdem mindestens 19 Menschen wegen gepanschter Spirituosen ums Leben kamen. Die Opfer hatten Wodka oder Rum getrunken, in denen sich hochgiftiges Methanol befand. Was folgte war ein Exportverbot, zwei Wochen später dann eine Lockerung der staatlichen Verordnung. Seitdem darf wieder Alkohol verkauft werden, der neu oder vor dem 1. Januar 2012 abgefüllt wurde. Der Skandal forderte bislang 38 Todesopfer. Das Urteil über die zwei Männer, die für die tödliche Mischung in über 15.000 Litern Schnaps verantwortlich sein sollen, steht noch aus.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“