Zwischen Ruhm und Tragödie

Zwischen Ruhm und Tragödie

Vor 80 Jahren entdeckte Maxi Böhm in Böhmen seine Leidenschaft für das Theater. In Wien wurde er später als Schauspieler und Kabarettist gefeiert

9. 12. 2015 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: Maxi Böhm (li.) mit Ossy Kolmann in der Fernsehsendung „Kabarett zu den vier Jahreszeiten“, 1980/ORF

 

Bei seinem Namen hellt sich die Miene des älteren Ehepaars im Prager Kaffeehaus „Amandine“ sofort auf. „Ja, natürlich kennen wir ihn noch“, bestätigen beide. Um entschieden hinzuzufügen: „Bei uns in Wien war er schließlich eine Institution!“

Bis Maxi Böhm dazu wurde, hatte er einen langen Weg vor sich. Sein erstes Engagement erhielt er vor 80 Jahren in Eger (Cheb). Der Vertrag sah vor, dass er als Schauspieler, Sänger und Tänzer zu arbeiten hat. Sowohl den jugendlichen Komiker als auch den schüchternen Liebhaber sollte er spielen. „Auf gut Deutsch: Ich musste einfach alles machen“, blickte Böhm später auf den Herbst und Winter im Jahr 1935 zurück.

Tatsächlich trat er in Eger ebenso in einem Lustspiel von Shakespeare auf wie in einem Drama von Schiller, tingelte anschließend Monate durch Provinznester wie Gablonz (Jablonec nad Nisou) und Eulau (heute Jílové) in Nordböhmen – und landete im Sommer 1936 am Stadttheater Reichenberg (Liberec).

Dort stellte der Direktor die entscheidenden Weichen. „Sie sind ja ein Komiker. Haben Sie das nicht gewusst? Ab heute spielen Sie bei mir alle komischen Rollen!“, befand er. „Das war der bedeutsame Augenblick, in dem ich fürs ganze Leben zum Spaßmacher ernannt wurde“, sagte Maxi Böhm hinterher.

Bis heute unvergessen
Dass Maxi Böhm den Gästen in dem Prager Café bis heute im Gedächtnis blieb, ist durchaus erstaunlich. Denn der Schauspieler starb schon im Dezember 1982. Und er konnte ganz schön nerven. Zumindest seine Kollegen im Wiener Hotel Sacher. Immer dann, wenn der Mann mit der großen dunklen Hornbrille und dem vollen grauen Haar seine Rückblicke mit dem Satz begann: „Bei uns in Reichenberg …“

Wobei sich Böhm alias Portier Blecha in der Fernsehserie „Hallo Hotel Sacher – Portier …!“ oft, gerne und mit einem strahlenden Lächeln an früher erinnerte. Dies wollte freilich nicht jeder seiner Kollegen hören. Die Sendung war in den siebziger Jahren das, was man heute einen Publikumsrenner nennt.

Böhms Karriere stand jedoch am Anfang auf tönernen Füßen. Zunächst ging der 17-Jährige nach Berlin, um sich seinen Berufswunsch zu erfüllen. Er nahm Unterricht, fiel aber vor den Augen einer Fachkommission krachend durch.

So probierte es Böhm zuhause in Tschechien erneut. Dieser zweite Versuch hatte „eine heitere Schlusspointe“, wie er in seinen unvollendeten Memoiren anmerkte: „Ich bin in Prag als einer der vier Besten durchgekommen, heimste sehr viel Lob ein und erhielt sofort ein Engagement!“
Nicht untypisch für Maxi Böhm war, wie diese Prüfung verlief. Alle Aspiranten würden die Prüfer mit den immer gleichen traditionellen Monologen langweilen, erklärte ein wohlmeinender Kollege, deshalb solle er doch mit einem möglichst unbekannten Stück aufwarten. Böhm wählte einen Monolog aus Gerhard Hauptmanns „Und Pippa tanzt!“, weil es „meinem eigenen schüchternen Wesen so fabelhaft entsprach“, wie er später sagte.

Tatsächlich „glaubte die Jury, ich hätte ihr das so großartig vorgespielt. Dabei war ich wirklich verlegen.“ Noch am gleichen Tag unterschrieb er seinen ersten Vertrag am Stadttheater in Eger.

100 im nächsten Jahr
Böhm wurde im August 1916 in Wien geboren, würde also im kommenden Jahr seinen 100. Geburtstag feiern. Schon bald kam der junge Max ins nordböhmische Teplitz-Schönau (Teplice), damals fast so bedeutend wie die Weltbäder Marienbad und Karlsbad. Das Kurhaus seiner Großmutter hielt Böhm für zweitrangig, doch offerierte es eine „hervorragende böhmische Küche (jeden Tag Knödel!)“, wie er später berichtete.

Seine Mutter wurde bei einem Schönheitswettbewerb zur schönsten Frau von Teplitz gewählt, der Vater war nicht nur ein renommierter Kurarzt, sondern schrieb nach Feierabend auch Theaterkritiken. Da er ihn öfter begleiten durfte, konnte Maxi Böhm im Teplitzer Stadttheater Bühnenstars wie Ernst Deutsch und Richard Tauber bei Gastspielen bestaunen.

„Er kannte immer so viele Witze, weiß du noch?“, fragt die Ehefrau aus Wien im „Cafe Amandine“. Ihr Mann nickt verständnisvoll. Tatsächlich wurde Böhm auf der Höhe seines Ruhmes gerne als „Mann mit den 100.000 Witzen“ bezeichnet. Den Grundstein dafür legten die großen Wiener Komiker, etwa Hans Moser oder Armin Berg, ebenfalls am Theater in Teplitz.

Bald sei sein Gehirn „nur noch aufnahmebereit für die Humorknallerbsen der gastierenden Komiker“ gewesen, bemerkte Böhm im Rückblick auf sein Leben. Stundenlang konnte er die Leute mit dem Repertoire der einstigen Kabarett-Größen unterhalten.

Als er 1933 erstmals im Stadtsaal des Teplitzer Nachbarortes Turn auftrat, verwendete Böhm ein Pseudonym, damit sein Vater nichts von seinen Schauspielplänen erfuhr. Sie wirkten sich dennoch auf seine schulischen Leistungen aus, auch wenn er nach eigenem Bekunden „von denen, die sitzengeblieben sind, der Intelligenteste“ war. Trotzdem floh Böhm, als „Kind schwer erziehbarer Eltern“, im gleichen Jahr nach Berlin.

In der deutschen Hauptstadt bekam er nicht nur den Aufstieg der Nazis mit, sondern sah auch Theatergiganten wie Gustaf Gründgens, arbeitete im „riesigen Statistenheer des Staatlichen Schauspielhauses“, besuchte Kabaretts, bewunderte Künstler wie Werner Finck – und träumte dennoch von Böhmisch-Krummau (Český Krumlov).

Das Städtchen, in dem er zuvor einmal ein Jahr verbracht hatte, erschien ihm nun wie „ein Labsal gegen die öde Steinwüste Berlin“. Zumal all seine Imitations- und Nachahmerversuche auf taube Ohren stießen. In der kunstsinnigen Metropole waren „meine Späße nicht gefragt“.

„Bei uns in Reichenberg“
Nach Eger wurde Reichenberg bis 1938 seine Theater-Heimat – auch weil „ich damals tschechoslowakischer Staatsbürger war“, während ein österreichischer Kollege kein Auftrittsrecht erhielt. Böhm lernte Kinder als „das ehrlichste, unverbildeteste Publikum“ schätzen und wurde zum zweiten Operetten-Buffo. Im Sommer gastierte er an den Kurtheatern in Marien-, Franzens- und Karlsbad, landete einmal auf dem Titel einer Hausfrauen-Illustrierten, gaukelte „durch alle Theatersäle zwischen Asch und Böhmisch-Leipa.“

In einem Dorf unweit von Olmütz (Olomouc) staunte er über einen Pfarrer, der ein Gastspiel der Reichenberger mit dem Stück „Die Weibsteufel“ verbot, allerdings die Aufführung des Lustspiels „Am Teetisch“ erlaubte. Dessen Inhalt unterschied sich indes nur durch eine dementsprechende Eingangsszene von den „Weibsteufeln“.

Auch große Städte boten ihm Bühnen für Gastspiele: 1938 das Deutsche Theater in Prag, wo Böhm erstmals Kontakt zum (tschechischen) Film bekam, und 1939 das Kleine Theater in Berlin, Unter den Linden.

Vier Jahre lang ging Böhm dann ans Schauspielhaus in Bremen. Von da an bewegte sich sein Leben zwischen Komik und Tragik, mit großartigen Erfolgen und schlimmen Niederschlägen.    Schon in der Hansestadt befand er sich nach eigener Erkenntnis auf „einem künstlerischen Höhenflug sondergleichen“, neben berühmten Kollegen wie Bernhard Wicki und Hans-Joachim Kulenkampff. Zugleich wurde er dort von den Nazis „mit einem Schlag als Schauspieler erledigt“. Denn ihnen gefiel nicht, dass Böhm bei einer Festvorstellung im Opernhaus darstellte, wie aus Menschen willenlose Werkzeuge und Roboter gemacht werden.

Nach dem Krieg fasste er in Linz wieder Fuß und reüssierte im Kabarett „Eulenspiegel“. Doch das Programm wurde von den Amerikanern abgesetzt, das Nachfolgestück von der Kritik zerrissen und schließlich die Kleinkunstbühne zerstört – vermutlich durch einen Brandanschlag.

Trotzdem war Böhm nun in der richtigen Spur. Seine Quizsendungen „Versuche dein Glück“ und „Radioonkel Max“ wurden im US-amerikanischen Lizenzsender „Rot-Weiß-Rot“ zu Erfolgsgeschichten. Im damals einzigen Massenmedium Radio stieg der lustige, charmante Böhm in den schweren Monaten nach dem Krieg zu einem Publikumsliebling auf.

Der beliebteste Österreicher
„Max Böhm war Europas erster Quizmaster“, befand sein Biograph Georg Markus, „es war wie eine Seuche, ganz Österreich wartete auf Böhm und seine Sendungen“. Der quirlige Max hieß fortan nur noch Maxi. Bei einer Umfrage nach dem populärsten Österreicher im Jahr 1950 belegte Böhm Platz eins, noch vor dem Außenminister und dem Bundespräsidenten.

Neben Quiz und Bädertourneen arbeitete er wieder als Schauspieler. Im Dezember 1949 kam Böhm erstmals ins älteste deutschsprachige Kabarett „Simpl“. Dort Komiker sein zu dürfen habe ihm „einen Lebenswunsch“ erfüllt, so Markus. Böhm blieb dem Haus bis Februar 1974 treu, eine Zeit lang auch als Leiter.
Das „Simpl“ war an vielen Abenden bis zum letzten Platz gefüllt. Doch der, den die Besucher immer lachend kannten, verfiel erstmals in schwere Depressionen. Sie zwangen Maxi Böhm dazu, eine komplette Spielzeit zu pausieren.

Ohne ihren Liebling kamen die Wiener nicht mehr, das Kabarett wurde verkauft, es kam zu Arbeitsgerichtsprozessen. Böhm wurde vorgeworfen, keine dem Theater gerechte Sprache zu beherrschen. Sein Mandant spräche „ein Prager Deutsch, das als schönstes Deutsch überhaupt gilt“, entgegnete sein Anwalt.

Böhm gewann das Verfahren, wirkte fortan als Schauspieler an verschiedenen Wiener Theatern, wurde Mitglied des renommierten Hauses in der Josefstadt – und wollte wieder einfach nur Max heißen.

„Ganz Wien lag ihm zu Füßen“
Er blieb neben Radio, Kabarett und Theater weiterhin auf dem Bildschirm präsent. Nicht nur als „Portier im Sacher“. Es habe damals kaum eine Unterhaltungssendung im österreichischen Fernsehen gegeben, in der Böhm nicht dabei war, schrieb Biograph Markus.

Allerdings nur dort. Er habe ihn immer wieder in seinen Tatort-Krimis einsetzen wollen, erzählte der ebenfalls als Schauspieler äußerst populäre Fritz Eckhard, doch Böhm wurde von sämtlichen Regisseuren abgelehnt. „Er hatte eben ein zu komödiantisches Image“, bedauerte Eckhard.

In seinen letzten Lebensjahren stand Böhm „so gut wie jeden Abend auf den Brettern der Kammerspiele“, so Georg Markus, der in den Zeitungsarchiven Wiens „keinen einzigen Verriss, nicht einmal einen Anflug einer negativen Kritik“ über die Leistungen seines Protagonisten fand.
Dies bestätigt auch das österreichische Ehepaar im Prager „Café Amandine“, als es nach einer kurzen Pause des Sinnierens mit gewissem Schmäh anmerkt: „Es gab Zeiten, da lag ihm ganz Wien zu Füßen.“

Gleichzeitig trafen Max Böhm schwere Schicksalsschläge: Sein Bruder Wolfgang starb im April 1979, wenige Monate später verunglückte Tochter Christine, selbst eine begabte Schauspielerin, bei einem Wanderunfall tödlich, und im Mai 1980 erschoss sich sein Sohn Max.

Trotz dieser furchtbaren Nachrichten spielte Böhm abends mit eiserner Disziplin seine Rollen. Die letzte war der Striese im „Raub der Sabinerinnen“. Er erlebte noch die Premiere am 22. Dezember 1982, laut Markus „einer der schönsten Tage in seinem Leben“.

Vier Tage später wartete man im ausverkauften Theater in der Josefstadt umsonst auf ihn. Max Böhm starb mit 66 Jahren.
Auch sein letzter Auftritt bewegte sich zwischen Ruhm und Tragödie: Bundespräsident Rudolf Kirchschläger nannte seinen Tod einen „für ganz Österreich sehr schweren Verlust“. Als er in Wien zu Grabe getragen wurde, räumten skrupellose Einbrecher seine Wohnung leer.

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