Zwischen Tabu und Drama
Tschechische und deutsche Rechtsextremisten kooperieren seit Jahren. Aber wie gehen sie mit dem Zweiten Weltkrieg um?
9. 5. 2013 - Text: Nancy WaldmannText und Foto: Nancy Waldmann
„Seid ihr tschechische Patrioten oder deutsche? Welche Meinung habt ihr zum Abtritt des Sudetenlands an das Deutsche Reich, zum Münchener Abkommen und zur Vertreibung der tschechischen Bürger aus den Grenzgebieten 1938, der Okkupation der Tschechoslowakei 1939, der Auslöschung Lidices 1942, den Hinrichtungen tschechischer Patrioten durch die Nazis? Diskutiert ihr mit euren deutschen Nationalistenfreunden über die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen und über die tausendjährige Germanisierung des tschechischen Territoriums?“
Die Frage stellt der User Antonin Muller, Profilbild: tschechische Flagge, auf der Facebookseite der „Dělnická Mládež Jih“ („Arbeiterjugend Süd“), die Jugendorganisation der rechtsextremen Arbeiterpartei der Sozialen Gerechtigkeit (DSSS). Innerhalb der Szene trifft das Thema einen empfindlichen Nerv. Von außen betrachtet offenbart die Frage nach dem Geschichtsbild die Zerrissenheit der rechtsextremen Szene in Tschechien, und einen anscheinend unauflösbaren Widerspruch. Ein tschechischer Neonazi, der sich mit einem deutschen Neonazi verbündet, muss schizophren sein, spätestens wenn es um die Geschichte geht. Um jenen Nationalsozialismus des Dritten Reichs, in dem Tschechen allenfalls eine Rolle als „arisierbare“ Sklaven zugestanden wurde.
Die Antwort von „Dělnická Mládež Jih“ auf Facebook bleibt inhaltlich vage. Immerhin gibt man zu, dass es kompliziert ist: „Schwierige Frage, noch schwierigere Antwort. Der Abtritt des Sudetenlandes war dumm, aber … was sollte man machen?? Mit den Deutschen kämpfen??? Das wäre Selbstmord gewesen und dann wären TSCHECHEN gestorben, nicht Deutsche … die Besatzung, das war nach dem Abtritt des Sudetenlandes nur eine Frage der Zeit … die Auslöschung Lidices??? was soll man dazu sagen, wohl nichts … dass wir mit Nationalisten aus Deutschland Veranstaltungen organisieren, dass wir uns um internationale Kontakte bemühen, ich würde nicht sagen, dass das falsch ist … und dass sie Deutsche sind, würde ich nicht so sehr betonen, wenn es ein Pole, Ungar oder Italiener wäre, es wäre das gleiche … würde ich zumindest so sehen.“
Tatsächlich bestehen zwischen Rechtsextremisten aus Tschechien und Deutschland seit Jahren Kontakte, sowohl auf parteilicher Ebene zwischen DSSS und der NPD als auch innerhalb nicht-offizieller Strukturen im Kameradschaftsmilieu, wo man sich offen auf neonazistisches Gedankengut bezieht. Dass zwischen beiden personelle Verbindungen bestehen, dokumentieren Beobachter seit langem, auch wenn DSSS-Vertreter dies offiziell von sich weisen, um nicht als verfassungswidrig eingestuft zu werden. Erst kürzlich mobilisierten Kameradschaften auf der Webseite svobodnyodpor.info („Freier Widerstand“) zur Ersten-Mai-Demonstration der „Arbeiterjugend“ im mährischen Přerov, ebenso ein Portal jugendlicher Hooligans. Abgewandelte Hakenkreuzsymbole, schwarze Sonnen und andere Kleidercodes der Neonazi-Szene waren auf der Demo zu sehen. Ebenso frühere Mitglieder der verbotenen Organisation „Národní odpor“ („Nationaler Widerstand“).
Konzentration auf die Gegenwart
Fragt man Erik Lamprecht, Vorsitzender der landesweiten „Arbeiterjugend“ („Dělnická Mládež“, kurz: DM), nach der Geschichte, so sagt er: „Die Geschichte ist die Basis von allem, man muss daraus für die Zukunft lernen.“ Protektorat, sudetendeutsche Frage oder Beneš-Dekrete – das will Lamprecht jedoch nicht kommentieren, zu heikel. Fragt man ihn, welche Rolle die Geschichte des Zweiten Weltkriegs in den Beziehungen zu den Parteifreunden der NPD spielt, so behauptet er: keine. Man konzentriere sich auf die Gegenwart. Man arbeite auf ein Europa der Vaterländer hin, ohne EU, in dem die Völker respektvoll nebeneinander leben. Dafür müsse man schon jetzt politische Partner finden, und ein solcher sei die NPD.
Lamprecht sitzt in einem Brünner Café: „Ich wurde schon als Nationalist geboren“, sagt er ohne Ironie. Er ist 25, seit vier Jahren in der Partei aktiv und ließ sich auch schon in einem T-Shirt der White-Power-Band „Skrewdriver“ fotografieren. Jetzt trägt er ein dunkles Hemd. Den „nationalen Sozialismus“, den die DSSS vertritt, kann Lamprecht nicht so recht erklären. Er wolle sich nicht auf irgendwelche Bezeichnungen reduzieren. Auf Taten komme es doch an.
Vor zwei Jahren war Lamprecht für eine Woche in Berlin und half bei NPD-Wahlkampfaktionen. Mit Parteifreunden verteilte er Zeitungen und warf Flugblätter in Briefkästen – „Schwarzarbeit“ nennt er das selbst, für die sich bei der NPD nicht genügend Freiwillige finden. Im Gegenzug erhielten die angeheuerten Wahlkampfhelfer aus Tschechien Knowhow. Die Professionalität der NPD beeindruckte Lamprecht. Er brachte die „Aktion Schulhof“ der NPD als Propagandamaßnahme nach Tschechien. Ein Comic, den die „Arbeiterjugend“ im Umfeld von Schulen verteilt, vermittelt Schülern anhand Gänsen, Enten und Hühnern ihre vermeintlich privilegierte Beziehung zu Ausländern und „Unangepassten“ – ein Schmähbegriff für Roma.
Wunder Punkt Beneš-Dekrete
Dass sich die NPD nicht vom Nationalsozialismus im Dritten Reich distanziert, in dem Tschechen als Menschen zweiter Klasse eingestuft wurden, ignoriert Lamprecht geflissentlich. „Wir halten uns an das, was die NPD uns gegenüber äußert, nicht, was man irgendwo über sie schreibt.“
Im Parteiprogramm fordert die NPD die Aufhebung der Beneš-Dekrete sowie die „Wiedervereinigung Deutschlands innerhalb seiner historisch gewachsenen Grenzen“. In der 2011 vom damaligen NPD-Parteichef Udo Voigt und dem DSSS-Chef Tomáš Vandas unterschriebenen „Erklärung von Riesa“, in der man sich gegen EU, NATO, Krise und Migration verbündet, spielen diese strittigen Punkte keine Rolle. Innerhalb der DSSS muss es allerdings Erklärungsbedarf gegeben haben. „Ich habe unsere deutschen Freunde darüber informiert, dass die Frage der Beneš-Dekrete für uns eine abgeschlossene Angelegenheit ist“, äußerte Vandas damals in der Parteizeitung „Dělnické listy“. Die DSSS werde nie deren Annullierung verlangen. Trotzdem feierte die DSSS das „Manifest von Riesa“ und die folgenden Treffen der Parteispitzen in Prag und Bamberg als „Meilensteine“ der Zusammenarbeit. Der NPD sind die Treffen mit den tschechischen Kollegen hingegen oft keine Meldung auf den eigenen Webseiten wert.
Offensiver nähert man sich der Geschichte im unorganisierten Kameradschaftsmilieu, wo zurzeit die intensiveren Kontakte bestehen. Erst im Februar marschierten deutsche und tschechische Neonazis mit Fackeln durch Ostrava, um den Jahrestag der Bombardierung Dresdens zu begehen, was in Dresden zunehmend schwierig wird. Mobilisiert hatte das „Freie Netz Süd“, einem in Bayern aktiven Netzwerk von Kameradschaften und Einzelpersonen aus der Neonazi-Szene.
Ostrava ist kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren seien deutsche Rechtsextreme praktisch auf fast jeder größeren Demonstration in Tschechien anzutreffen, sowohl als Redner als auch als Teilnehmer, sagt Lena M., die seit Jahren die Szene beobachtet. Als nächstes steht Mitte Mai der Gedenkmarsch in Litvínov für einen 1999 getöteten getöteten Neonazi an, wie man auf den Seiten des „Svobodný odpor“, und jenen des „Freien Netzes Süd“ erfährt. Beide Gruppen spielen im „Deutsch-Böhmischen Freundschaftskreis“ eine Schlüsselrolle. Deutsche, tschechische und österreichische Neonazis haben sich darin zusammengeschlossen, „um den gemeinsamen Glauben an ein Europa der Vaterländer zu manifestieren“, schreibt der Kreis auf seiner Webseite. Jährlich trifft man sich zum „Tag der Freundschaft“. Zu dem Kreis sollen auch DM-Mitglieder gehören.
Tradition des Dritten Reichs
In der „grundlegenden Vereinbarung“ des Freundeskreises von 2009 steht geschrieben, wie man sich das „Europa der Volksstaaten“ vorstellt: nämlich in Anknüpfung an „die Tradition und die Leistung des Deutschen Reiches und seiner Verbündeten als Kern und Bollwerk Europas“. Das Papier erklärt die Beneš-Dekrete für nichtig und fordert das „Wohn- und Lebensrecht“ für die Sudetendeutschen und deren Entschädigung.
Ein solch germanozentrisches Geschichtsbild scheint allerdings auch innerhalb der Kameradschaftsszene umstritten. Es ist nur eines von mehreren Angeboten, die im Netz kursieren. Sie zeigen wie virulent die Vergangenheit in diesen Kreisen ist. „Tschechische Rechtsextremisten sehen die Deutschen nicht als Herrenrasse. Sie wollen Teil eines gleichberechtigten europäischen Kampfes sein“, sagt der Brünner Rechtsextremismusexperte Miroslav Mareš. Die Anerkennung der Deutschen sei dabei allerdings sehr wichtig. Um diese zu finden, arbeitet man sich im rechtsextremen Umfeld an der Revision der Geschichte des Protektorats ab. Die Macher des häufig verlinkten Portals nassmer.cz erörtern in hunderten Artikeln die glorreiche Rolle des tschechischen Volkes innerhalb eines großen nationalsozialistischen Reichs. Sie versuchen zu beweisen, dass Hitler den Tschechen wohlgesonnen war. Es wirkt hilflos, wie die Kompensation eines Komplexes. Dem Facebook-User Antonin Muller wird das vermutlich nicht gefallen.
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