„Chiffre meines Schreibens“

„Chiffre meines Schreibens“

Auf den Spuren Bohumil Hrabals: Ein Fahrradausflug von Nymburk nach Kersko

10. 10. 2012 - Text: Yvette PolášekText und Foto: Yvette Polášek

 

Wer Bohumil Hrabals Werke besser verstehen will, folgt am besten dem Elbe-Radweg von Nymburk nach Kersko – zu den Plätzen, denen der Schriftsteller in seinen Werken ein Denkmal setzte.

Der Name Bohumil Hrabal ist untrennbar mit der mittelböhmischen Stadt Nymburk verbunden. Und er ist omnipräsent. Ob Hrabal-Museum, Hrabal-Fahrradweg oder Hrabal auf den Etiketten von Bierflaschen: Die Verantwortlichen haben es verstanden, den wohl berühmtesten Sohn der Stadt gut zu vermarkten. Wobei sie der Autor selbst auf diesen Weg geführt hat. Viele Plätze in Nymburk, die Hrabal aus seiner Kindheit und Jugend kannte, finden sich detailliert beschrieben in seinen Werken wieder. Das bestätigte Hrabal auch selbst mit den Worten: „Tausende Kilometer, die ich im alten Nymburk gegangen bin, das alles, was ich gelebt und erlebt habe, ist Inhalt oder Chiffre meines Schreibens.“

Wer nach der Lektüre der Trilogie „Das Städtchen am Wasser“ die Schauplätze mit den Augen des jungen Hrabal sehen möchte, schwingt sich am besten aufs Fahrrad und folgt dem Elbe-Radweg von Nymburk nach Kersko, wo der „König der tschechischen Prosa“ glückliche Stunden in seinem Wochenendhaus verbracht hat.

Einen ausführlich kommentierten Plan zu dieser Route erhält man im Informationszentrum am Stadtplatz von Nymburk. Bevor man sich auf die Spuren des Autors begibt, sollte man den historischen Kern der um 1275 gegründeten Königsstadt besichtigen. Schließlich wurde das Stadtzentrum 1992 zur Denkmalzone erklärt. Beachtung verdienen insbesondere die Sankt-Georg-Kirche (kostel sv. Jiří), die Dominante der Stadt, das alte Renaissance-Rathaus und der sogenannte Türkische Turm. Auch die Überreste der mittelalterlichen Festung mit ihren Wällen und zwei Wassergräben, der Kleinen und Großen Schanze, die in der Tschechischen Republik einzigartig sind, lohnen einen Besuch.

Gleich neben dem Stadtplatz, in der Straße Tyršova, befindet sich das Heimatmuseum, der erste Halt auf den Spuren Hrabals. Kurz nach seinem Tod ist es der Stadt in nur drei Monaten gelungen, ein Museum über das Leben und Schaffen des Schriftstellers zu eröffnen. Zu sehen sind hier neben seiner Schreibmaschine „Consul & Torpedo“, auf der er die meisten seiner Texte zu Papier brachte, stilgerecht auf einem Kleiderständer hängend seine Jacke, sein Hut und seine geliebte Fellmütze. Zahlreiche Fotos seiner Mutter „Maryška“, seines Stiefvaters „Francin“ und seines Onkels „Pepin“ sowie des Bruders „Slávek“ und seiner Ehefrau „Pipsi“ – alles Hauptdarsteller seiner Romane – ergänzen die Ausstellung. Auch sein Klapprad, das in seinen Werken ebenso eine wichtige Rolle spielt und mit dem er selbst gerne durch die malerische Landschaft entlang der Elbe geradelt ist, hat seinen Platz im Museum gefunden.

Humorvolles Gedenken
Schwingt man sich auf sein Fahrrad und überquert die Elbe auf dem schmalen Brückensteg parallel zur Stahlbetonbrücke aus dem Jahre 1912, die für Fußgänger und Radfahrer gesperrt ist, gelangt man am linken Flussufer sogleich zur Hrabalka, der einstigen Familienvilla. In der zweistöckigen grauen Villa verbrachte der junge Bohumil seine Jugend. Nur einige Straßen weiter befindet sich die städtische Brauerei, in der sein Stiefvater seit 1919 als Verwalter gearbeitet hat. Obwohl bereits 15 Jahre seit dem tragischen Tod des Schriftstellers vergangen sind, ist er dort allgegenwärtig.

Einige der in Nymburk gebrauten Biere tragen die Namen seiner Werke oder Hauptfiguren, sein Konterfei ziert alle Bieretiketten und an der Außenwand der Brauerei, wohlgemerkt in Wadenhöhe, erinnert eine schon in Mitleidenschaft gezogene Gedenktafel an den eigenwilligen Humor ihres regelmäßigen Besuchers: „Já žádnou desku nechci, ale když, tak jen ve výšce kam čurají psi.“ Zu Deutsch: „Ich will keine Gedenktafel, aber wenn, dann in jener Höhe, wo Hunde hinpinkeln.“
Folgt man dem Radweg entlang des linken Elbufers gen Westen, vorbei an ehemaligen Mühlen und dem Sommersitz Písty, gelangt man in das Städtchen Sadská, das Cineasten vor allem aus dem Film „Obsluhoval jsem anglického krále“ („Ich habe den englischen König bedient“) kennen. Hier erstrahlt seit kurzem das legendäre Hotel „Modrá Hvězda“ („Blauer Stern“) im neuen Glanz, in dem der studierte Jurist Hrabal vom Ober Josef Vaníček zu seiner Romanfigur inspiriert worden ist.

Auf zum Jägerschmaus!
Nach etwa fünf Kilometern erreicht man schlussendlich das idyllisch am Rand eines kleinen Waldstücks gelegene Kersko – hier fand Hrabal seit Mitte der sechziger Jahre Inspiration für seine literarische Arbeit und verbrachte in seiner Chata ruhige Stunden. Neben zahlreichen Wochenendhäusern und kleinen Villen kommt man auch am Pavillon mit der Josefsquelle und dem Atelier Kuba vorbei, wo der Bohumil-Hrabal-Leserklub jeden Mai das Fest „Hrabals Kersko“ veranstaltet. Ganz in der Nähe befindet sich das Restaurant Hájenka, in dem der Schriftsteller des Öfteren sein Bier genossen hat. Wer will, kann sich hier den viel gerühmten Wildschweinbraten mit Hagebuttensoße und Semmelknödeln schmecken lassen. Diesen hat man sich nach der Radtour redlich verdient; zudem sollte es für Literaturfreunde beinahe  Pflicht sein, den berühmten Jägerschmaus aus dem Film „Slavnosti sněženek“ („Das Wildschein ist los“) zu kosten.

Und wer dem Erfinder des Fantasiewortes „bafeln“ (tschechisch „pabit“) die letzte Ehre erweisen möchte, radelt gestärkt ein kurzes Stück zurück, bis zum Friedhof der kleinen Gemeinde Hradištko, wo der Schriftsteller neben zahlreichen Familienmitgliedern ruht. Eingedenk der Worte von Professor František Dvořák: „Bohumil Hrabal ist nicht gestorben, er hat nur aufgehört zu schreiben.“

Turistické informační centrum Nymburk, Nám. Přemyslovců 165, Tel. 325 512 433, www.mesto-nymburk.cz

Bohumil-Hrabal-Museum in Nymburk (Muzeum Bohumila Hrabala), c/o Vlastivědné muzeum v Nymburce, Tyršova ulice 174, Tel. 325 512 473, www.podlabskemuzeum.cz

Brauerei Nymburk (Pivovar Nymburk), Pražská 581/22, Tel. 325 517 200, www.postriziny.cz

Hrabal-Villa (Vila rodiny Hrabalových – „Hrabalka”), Na Bělidle 1661

Hotel Modrá Hvězda, Lázeňská ul., Sadská, Tel. 325 594 232, www.modra-hvezda.com
Waldatelier Kuba (Lesní ateliér Kuba), Kersko 660, 289 12 Sadská-Hradištko, Tel. 325 598 122, www.lesniatelierkuba.cz

Restaurace Hájenka, Kersko 148, Sadská, Tel. 325 598 056, www.hajenka-kersko.cz (Öffnungszeiten im Herbst und Winter: täglich außer montags 11 bis 22 Uhr (Sonntag bis 20 Uhr)

Zur Person
Bohumil Hrabal kam am 28. März 1914 in Brünn zur Welt. Als seine Mutter Marie 1920 den Buchhalter František Hrabal heiratete, nahm dieser Bohumil als seinen Sohn an. Die Familie zog nach Nymburk an der Elbe um, wo Bohumil seine Kindheit und Jugend verbrachte. Diese Zeit verarbeitet er in verschiedenen seiner literarischen Werke, etwa der Trilogie „Das Städtchen am Wasser“ (Die Schur, Schöntrauer, Harlekins Millionen) und in „Das Städtchen, in dem die Zeit stehenblieb“.

Hrabal war kein besonders guter Schüler. Wesentlich mehr als für die Schule interessierte er sich für das Geschehen in der Brauerei und für Josef, genannt Onkel Pepin, den Bruder seines Stiefvaters Francin, der „zu Besuch kam und bis zum Tode blieb“. Anhand des Redeflusses von Onkel Pepin hatte Hrabal seinen literarischen Stil geschult, für den er das Fantasiewort „bafeln“ (tschechisch „pabit“) erfand. Ein langer stilisierter Monolog Onkel Pepins findet sich in dem Buch „Die Leiden des alten Werther“, das später zu „Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene“ umgeschrieben wurde.

Nach seinem Abitur 1935 studierte Hrabal an der Juristischen Fakultät der Prager Karls-Universität und besuchte gleichzeitig Vorlesungen über Literaturgeschichte, Kunst und Philosophie. Aufgrund der zeitweiligen Schließung der Hochschulen während der Okkupation konnte er sein Studium erst 1946 abschließen. Während des Krieges war er bei der Bahn unter anderem als Fahrdienstleiter beschäftigt, was sich – wie auch bei seinen übrigen Tätigkeiten – in seinem literarischen Werk widerspiegelt („Reise nach Sondervorschrift – Zuglauf überwacht“). Seine beruflichen Tätigkeiten wechselten zwischen Versicherungsagent, Handelsreisender und schließlich Hilfsarbeiter in einer Stahlhütte, wo er dann nach einem schweren Unfall von 1953 bis 1959 als Verpacker von Altpapier in einem Rohstoff-Sammellager arbeitete. Diese Zeit ist literarisch verarbeitet in einer seiner berühmtesten Erzählungen „Allzu laute Einsamkeit“, aber auch im ersten Teil seiner autobiographischen Romantrilogie „Hochzeiten im Hause“.

Hrabal schrieb bereits seit den dreißiger Jahren literarische Texte, die jedoch zunächst unveröffentlicht blieben. Zum Beruf machte er das Schreiben jedoch erst 1963. Ab 1970 durfte er für einige Jahre nicht mehr publizieren und schrieb daher im Samisdat- oder Exil-Zeitschriften. 1975 veröffentlichte er in der Zeitschrift „Tvorba“ einen selbstkritischen Aufsatz, der es ihm unter teilweise strenger Aufsicht der Zensur ermöglichte, wieder zu publizieren.

Bohumil Hrabal starb in Prag nach einem Fenstersturz beim Füttern von Tauben aus dem 5. Stock des Krankenhauses „Na Bulovce“, in dem er in Behandlung war. Ob Hrabals Tod ein Selbstmord oder ein Unfall war, wurde im internationalen Feuilleton oft diskutiert, blieb jedoch ohne konkretes Ergebnis und wird auch nicht mehr festzustellen sein. Für einen Freitod Hrabals jedenfalls spricht das Argument, dass die Todesart sehr arrangiert wirkt und Gemeinsamkeiten mit Szenen aus Hrabals Werk aufweist. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder auf die drei berühmten Prager Fensterstürze angespielt – Hrabals Tod stellt demnach den vierten Prager Fenstersturz dar.

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